Rehberg: Überfordert Nagelsmann seine Spieler?

RB Leipzig-Trainer Julian Nagelsmann. Foto: dpa

Nach der 0:2-Niederlage von Leipzig in Frankfurt ging RB-Trainer Julian Nagelsmann mit seinen Spielern hart in Gericht. Mit der Öffentlichkeitsschelte wandelt er auf einem...

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. Die Karriere als Übungsleiter begann für Julian Nagelsmann im Nachwuchsleistungszentrum des FC Augsburg. Als 23-Jähriger assistierte er bei der zweiten Mannschaft dem jungen Thomas Tuchel. Letzterer wechselte alsbald zur U19 des FSV Mainz 05. Vor Saisonbeginn unternahm der ehrgeizige Tuchel im Frühsommer 2008 mit seinem Kader eine anstrengende Bergtour in den Alpen. Am Gipfelkreuz angekommen verbuddelte der Trainer mit seinen Spielern ein kleines Kistchen. Darin lag ein Schriftstück. Darauf stand das Saisonziel: Deutscher Meister 2009.

Das Ergebnis: Elf Monate später feierte die Mainzer Klettergemeinschaft nach einem 2:1-Finalsieg gegen Borussia Dortmund (mit dem späteren Weltmeister-Torschützen Mario Götze im Team) die erste und bis heute einzige U19-Meisterschaft in der Klubgeschichte.

Mag sein, dass sich Nagelsmann in seiner bildhaften Predigt nach dem 0:2 der RB-Mannschaft in Frankfurt an die Motivationsmethode des Ex-Chefs erinnert hat. Der 32-Jährige unterstellte seinen Spielern, sie würden auf der Meisterschaftstour als Tabellenführer nicht genügend dafür tun, als Erste am Gipfelkreuz anzukommen und den besten Platz zu ergattern für die schöne Aussicht von ganz oben.

Nagelsmann hat das Gefühl, seinen Profis könnte es reichen, unterhalb des Gipfels zu verweilen, gemütlich eine Vesper einzunehmen und zufrieden ins Tal zu blicken. Die schlampige Trainingsarbeit unter der Woche nebst den jüngsten lauwarmen Wettkampfleistungen deute darauf hin.

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Wenn Tuchel ehrgeizig ist, dann ist sein ehemaliger Azubi wahnsinnig ehrgeizig. Mit 26 Jahren machte Nagelsmann die U19 der TSG Hoffenheim zum Deutschen Meister. Die erste Mannschaft rettete er, als zweitjüngster Trainer in der Bundesliga-Historie, vor dem Abstieg; dem folgte die Champions-League-Qualifikation, dem folgte der direkte Einzug in die CL-Gruppenphase. Und jetzt will der Gipfelstürmer Nagelsmann mit dem Herbstmeister RB Leipzig in der Bundesliga den ersten Platz verteidigen. Ziel: Deutscher Meister 2020.

Stellt sich die Frage: Bedeutet dieser ebenso hohe wie mutige Anspruch des grenzenlos ambitionierten Cheftrainers eine Überforderung für diese doch noch sehr junge Leipziger Mannschaft? Nagelsmann wähnt sich in seiner Frankfurter Predigt schon direkt unterhalb des Gipfelkreuzes. Was suggeriert: Es fehlen nur noch ein paar letzte Schritte. Tatsächlich sind es noch 15 Punktspiele bis zur Entscheidung im Mai. Begleitet von Auftritten im DFB-Pokal und in der Champions League. Und das in der Liga mit einem FC Bayern im Nacken, der auf einigen Positionen nicht nur hochkarätiger besetzt ist, sondern insgesamt auch viel erfahrener und gieriger ist in engen Titelrennen.

Nagelsmann wandelt auf einem sehr schmalen Grat. Mangelnde Einstellung im Training, darauf kann der Trainer im Alltag Einfluss nehmen. Der Weg, Missstände an die Öffentlichkeit zu tragen, ist gewagt. Jede weitere schwächere Leistung wird fortan an dieser Fundamentalkritik gemessen. Und irgendwann kann es heißen: Der Trainer erreicht mit den ganz hohen Zielsetzungen seine Mannschaft nicht. Und darüber hinaus besteht die Gefahr, dass ein möglicher zweiter Platz in Leipzig nicht mehr als Erfolg gewertet wird.

Ansprüche nach oben zu schrauben und oben zu halten, das schafft ein Anführer eher selten über Medienarbeit. Der Bruch zwischen Thomas Tuchel und Borussia Dortmund nahm seinen Anfang im November 2016. Nach einer 1:2-Niederlage in Frankfurt. Der BVB-Trainer sprach seinen Profis in einer spöttischen Wutrede jeden Leistungswillen ab. „Ein einziges Defizit. Technisch. Taktisch. Mental. Bereitschaft. Komplett. Von der Trainingswoche bis heute. Nichts.“ An diesem Tag begann der emotionale Zersetzungsprozess in der Beziehung zwischen den Dortmunder Spielern und dem Trainer.