Die Regelhüter haben sich mit Videoassistenz und zusätzlichen Strafen für Fehlverhalten von Spielern und Trainern keinen Gefallen getan, meint Kolumnist Reinhard Rehberg.
. Die These lautet: Die deutsche Schiedsrichterzunft nimmt sich gerade zu wichtig; die Regelhüter im Profifußball lechzen nach Bedeutung, sie wollen auf der Bühne als Akteure, als Hauptdarsteller wahrgenommen werden.
Woran das festzumachen ist? 1. Die Idee des Videoassistenten war gut, aber die Kontroll-Referees in Köln haben es in zweieinhalb Jahren nicht geschafft, gemeinsam mit den Kollegen auf dem Feld eine nachvollziehbare und das Spielerlebnis nicht tangierende Linie reinzubringen in den VAR-Ablauf – weil es den Beteiligten schwerfällt, sich zurückzuhalten. 2. Die Entscheidung in der Winterpause, das als negativ eingestufte Verhalten von Spielern auf dem Rasen ab sofort schärfer zu sanktionieren, war eine Aktion, die mit Verantwortlichen der Klubs zuvor nicht diskutiert worden ist. Unter der Woche erhielten die Klubs einen Brief, in der die Neuerung mitgeteilt und erklärt worden ist. Am folgenden Wochenende startete der Spielbetrieb.
In der Praxis zeigt sich nun: Vermeintlich objektiv werden gemäß einer von Menschenhand angelegten kalibrierten Linie Abseitsentscheidungen im Millimeter-Bereich getroffen – auf der anderen Seite unterliegt es dem offensichtlich großen Interpretations-Spielraum des Schiedsrichters, Spielern oder Trainern wegen abweichenden Verhaltens während des Spielgeschehens zügiger eine Gelbe oder sogar Gelb-Rote Karte unter die Nase zu halten.
Man könnte auf den Gedanken kommen, die Schiri-Zunft will mit dieser Maßnahme davon ablenken, dass es mit der Einführung des VAR im Kölner Keller selten mehr Missstimmung und Chaos gab in der Regelüberwachung, Regeldurchsetzung und Regelauslegung (Handspiel, Abseits) als in diesen Zeiten.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Jeden Fußballanhänger nervt es, wenn Spieler nach Fouls Schauspieleinlagen vollführen, wenn Spieler plump Elfmeter schinden, wenn Spieler zu dritt, zu viert, zu fünft den Schiri bestürmen, einkreisen und aggressiv zutexten, wenn Spieler in Rudeln sich beschimpfen und schubsen, wenn Trainer aus nichtigen Anlässen am Spielfeldrand das HB-Männchen machen und den vierten Offiziellen wütend angehen. Diese leidigen Probleme hätten DFB, DFL und das Schiedsrichterwesen längst mal an einem Runden Tisch mit Sportdirektoren, Trainern und Mannschaftskapitänen diskutieren können. Man hätte unter vernunftbegabten Menschen einen Wertekanon aufstellen und Leitlinien vereinbaren können.
Für das Verhalten von Spielern sind die Cheftrainer zuständig. Wir wissen vom (am Spielfeldrand nicht untadeligen) Jürgen Klopp, dass er seinen Profis schon seit Jahren klar und deutlich vermittelt: Ich will nicht, dass ihr euch aus nichtigem Anlass fallen lasst; ich will nicht, dass ihr euch auf dem Boden wälzt und liegen bleibt, wenn es nicht wirklich fürchterlich weh tut; ich will nicht, dass ihr euch in der Bereitschaft und Konzentration ablenken lasst von der übertriebenen Beschäftigung mit Schiri-Entscheidungen.
Man hätte es in Deutschland jetzt mal eine halbe Saison versuchen können mit der klaren Vereinbarung/Ansage: Trainer, wir erwarten von euch, dass ihr in diese Richtung nachhaltig auf eure Spieler einwirkt. Werte benennen, anerkennen, umsetzen. Beobachten. Und auswerten, ob das funktioniert.
In Deutschland ist man aber gerne der Auffassung, dass sich ohne Strafen wenig bis nichts zum Besseren lenken lässt. Im ZDF-Sportstudio sprach der promovierte Jurist Dr. Felix Brych, ein international erfahrener Schiedsrichter, in diesem Zusammenhang von Hygiene. Der kalte Begriff aus der Gesundheitslehre ist unangebracht. Es geht um Miteinander, es geht um gegenseitigen Respekt, es geht um Kommunikation, es geht um Transparenz. Es geht um zu bewältigende Emotionen unter hohem Andrenalinausstoß.
Die Regelhüter-Zunft mit ihren vielen neuen (gut bezahlten) Jobs und Hierarchieebenen hat sich in einer geheimen Kommandosache für schärfere Sanktionen entschieden. Und nun? Jede wilde Gestik eines Spielers kann bewertet/bestraft werden. Noch ein Problem mehr für die Schiedsrichter. Auch im Amateurfußball. Mit seinen vermehrt auftretenden Jagd- und Prügelszenen. Die mit dem Verhalten von Bundesligaprofis überhaupt nichts zu tun haben.