Rehberg: Ein nostalgischer Blick zurück auf früher

"Fußball gucken" früher und heute. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Kolumnist Reinhard Rehberg blickt darauf zurück, wie "Fußball gucken" frühe war und was aus denen geworden ist, die einst gemeinsam die Bundesligakonferenz im Radio und die...

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. Wir waren Schüler. Mein Freund Dieter kam an Samstagen gerne zu mir nach Hause. Er hatte drei, vier Schallplatten unterm Arm. Wir hörten Creedence Clearwater Revival, Black Sabbath, Deep Purple, die Stones, Humble Pie. Um 15.30 Uhr drehten wir das Radio an. Bundesligakonferenz. Um 18 Uhr kam in der ARD die Sportschau.

Danach fuhr Dieter mit dem Zug zurück nach Mainz. Ich hetzte in meinem Dorf, wegen der Sportschau wie immer viel zu spät, in die Vorabendmesse – das war damals so. Da hatte sich in Nackenheim schon der Fichtenadelduft verbreitet; wir hatten noch keine Kanalisation, das Badewasser wurde auf der Straße ausgeschüttet, mit der schäumenden Brühe wurde die Gasse gekehrt.

Dieter hatte wenig bis nichts mit Fußball am Hut. Ihn interessierten die Reporterstimmen, die Spannung, die Dramatik. 1977 haben wir am Bischöflichen Willigis-Gymnasium in Mainz Abitur gemacht. Dieter wurde Schauspieler. Ich habe ihn besucht während seiner Ausbildung am Mozarteum in Salzburg, bei seinem ersten Engagement am Züricher Schauspielhaus, später bei seinem zweiten Engagement in Berlin am Schillertheater. Ein halbes Jahr habe ich versucht in Berlin zu studieren, klappte nicht, die Stadt mit den langen Nächten war zu spannend.

Ich verdiente damals am Schillertheater ein paar Mark als Statist und Kulissenschieber. Dieter nannte sich um in Leon. Leon Boden. Er fand, das klinge besser, wenn man als Künstler etwas werden will. Ich duschte in den alten Badewannen am Schillertheater, über kleine Lautsprecher hörte man dort die Bühnenproben, die rauen Regieanweisungen. Ich klapperte sämtliche Berliner Stadien ab. Hertha BSC, Tennis Borussia Berlin, SC Charlottenburg. Ich erinnere mich, dass wir gemeinsam im Berliner Olympiastadion bei einem DFB-Pokalspiel der Hertha gegen Schalke 04 den 17 Jahre alten Olaf Thon gesehen haben. Selbst der Nichtfußballer Leon war von Thons Leichtigkeit im Umgang mit der Kugel begeistert. Die Abende verbrachten wir in Theatern oder im Kino, die Nächte in Kneipen.

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Aus mir ist dann irgendwann ein Fußballschreiber geworden. Leon hat Karriere gemacht als Schauspieler, als Regisseur, als Synchronsprecher. Er spielte Rollen im Tatort, in TV-Filmen und in diversen Vorabendserien. Er hatte Rollen in den TV-Serien „Hinter Gittern“ und „Die Rote Meile“. Er hatte Rollen in Kinofilmen; er inszenierte zwei Filme. Er spielte Gitarre und sang in der von ihm inszenierten „Tucholsky-Revue“.

Durchgestartet ist er als Synchronsprecher. Leon Boden war von 1989 bis 2018 die deutsche Stimme von Denzel Washington. Er synchronisierte Will Smith, zum Beispiel in „Independence Day“. Er sprach Jason Statham in einigen der „Fast & Furios“-Streifen, zuletzt 2019 in „Fast & Furios: Hobbs & Shaw“. Er synchronisierte Basketballstar Michael Jordan bei dessen beiden Filmauftritten. Er sprach Bruce Willis, Laurance Fishburn, Barrack Obama, Idris Elba, Samuel L. Jackson, Pierce Brosnan, Russel Crowe und viele weitere Hollywoodstars.

Zuletzt lebte er mit seiner zweiten Ehefrau in Dresden. Leon Boden ist in der vergangenen Woche im Alter von 61 Jahren gestorben. Er hinterlässt zwei Töchter aus erster Ehe.