Kitas in der Region: zu wenig Plätze, zu wenig Personal

Ein Kind spielt in einer Kita.

Eltern und Gewerkschaft fordern bessere Arbeitsbedingungen in der Kinderbetreuung. Die Länder melden mehr Auszubildende – doch reicht das?

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Wiesbaden/Mainz. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat jüngst bestätigt, was schon länger bekannt ist: In den Kitas fehlen Tausende Fachkräfte. Das hat zur Folge, dass nicht alle Eltern, die ihr Kind betreuen lassen wollen, einen Platz finden – obwohl Kinder ab einem Jahr seit 2013 einen Rechtsanspruch darauf haben. „Die Eltern merken ständig, dass Fachkräfte fehlen“, sagt der zweifache Vater Christian Brückner. Der Darmstädter engagiert sich beim Verein Kita-Eltern-Hessen, vor allem im Arbeitskreis Fachkräfte.

Die Studie kommt zum Ergebnis: In Hessen fehlen 10.700 Fachkräfte, um den Bedarf der Eltern für das nächste Jahr zu decken. In Rheinland-Pfalz sind es 6700. „Ganz schön dramatisch“, findet Dr. Isabel Carqueville, Referentin für Sozialpädagogik und Weiterbildung bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Hessen. Die Mitarbeiter in den Kitas könnten die Kinder kaum mehr fördern, nur noch beaufsichtigen. Sprachförderung etwa – „da schaffen die es gar nicht, allen Kindern gerecht zu werden“, sagt sie. Das Personalproblem in der Kinderbetreuung könnte noch größer werden. Ab 2026 folgt auch der Anspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder. „Ich habe keine Ahnung, wie man das stemmen soll. Woher sollen all die Fachkräfte kommen?“, fragt sich die Referentin.

Die Autoren der Bertelsmann-Studie fordern für Hessen und Rheinland-Pfalz, mehr Mitarbeiter einzustellen. „Allerdings werden neue Fachkräfte in der erforderlichen Zahl nicht kurzfristig verfügbar sein. Gleichzeitig erfordert der bestehende Personalmangel aber bereits jetzt wirksame Lösungen“, heißt es. Zunächst müsste kurzfristig die Überlastung des Personals reduziert werden. Außerdem müsse das Aufgabenspektrum überprüft und angepasst werden.

Daten werden nicht zentral erhoben

Bis wann alle Eltern in Hessen und Rheinland-Pfalz, die ihr Kind ab einem Jahr betreuen lassen wollen, einen Platz für dieses erhalten, können oder wollen die zuständigen Ministerien auf Anfrage nicht sagen. Stattdessen schieben sie die Verantwortung auf Kommunen, Landkreise, Jugendämter und Träger. Diese seien schließlich zuständig. Wie groß der Bedarf an Plätzen ist, könne nur vor Ort ermittelt werden. „Nur dort kann beurteilt werden, welche Angebotsstruktur – Alter der Kinder, Öffnungszeiten – erforderlich ist und welcher Bedarf sich aus der demografischen Entwicklung ergibt“, teilt das hessische Sozialministerium auf Anfrage mit. Auch in Rheinland-Pfalz hätten nur die Jugendämter einen Überblick darüber, erklärt Ulrich Gerecke, Sprecher des Bildungsministeriums.

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Laut der Studie fehlen 2023 in Hessen 37.200 Plätze. „Nur in Einzelfällen können Ansprüche nicht erfüllt werden“, erwidert der hessische Städtetag. Das Personalproblem aber weist er nicht von der Hand: Die Städte würden sich über jeden jungen Menschen freuen, der sich für soziale Berufe interessiert. „Wir merken aber, dass die meisten jungen Menschen keinen Zugang zu bestimmten Berufsfeldern haben. Dies liegt unseres Erachtens an den Eltern und nicht optimaler Berufsorientierung“, erläutert Referatsleiter Michael Hofmeister.

Der Fachkräftemangel besteht schon jetzt, sagt auch Christian Brückner vom Verein Kita-Eltern-Hessen. Immer wieder werden Öffnungszeiten verkürzt oder Eltern erhalten kurzfristig die Bitte, das Kind zu Hause zu betreuen, weil Personal krank ist. Zahlen zum Erzieher-Mangel seien nicht bekannt, kritisiert Brückner. Der Verein habe sich bereits um Daten bemüht, sei aber gescheitert. „Wir befürchten, dass ein Interesse besteht, die Zahl nicht zu erheben“, sagt Brückner.

Dabei sei eine gute Kinderbetreuung wichtig. In Krippe und Kindergarten lernen die Kinder und entwickeln sich weiter. Die Kleinen erhalten Unterstützung, die sie in der eigenen Familie manchmal nicht bekommen. Wenn eine Fachkraft in der Kita arbeitet, ermöglicht sie dadurch zehn anderen, zur Arbeit zu gehen, erinnert sich der Darmstädter an eine andere Studie.

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„Was ich kritisiere, ist, dass jetzt nicht der Hebel umgelegt wird. Wenn es das Land nicht schafft, erwarte ich, dass es beim Bund ordentlich auf den Tisch haut“, ärgert sich Brückner. Auch Carqueville sagt, dass sie zumindest in Hessen keinen Plan erkennen könne, wie man das Personalproblem lösen will. Das sehen die Ministerien anders. Beide berichten unter anderem von Mitteln aus dem „Gute-Kita-Gesetz“ des Bundes, die sie vor allem ins Personal stecken. Die Ministerien in Hessen und Rheinland-Pfalz zählen auf, wie viel Geld sie in die Kinderbetreuung stecken, berichten von Initiativen zur Gewinnung von Auszubildenden. Durch das neue Kita-Gesetz in Rheinland-Pfalz habe das Land zum Beispiel rund 1600 zusätzliche Stellen geschaffen, berichtet Ministeriumssprecher Gerecke. Er verweist zudem darauf, dass jede Einrichtung so viele Wirtschaftskräfte für Hauswirtschaft oder Verwaltung einsetzen könne, wie sie benötigt. So könne sich das pädagogische Personal auf seine Aufgaben konzentrieren.

Und in Hessen? Seit 2020 steckt das Land 110 Millionen Euro in die „Fachkräfteoffensive Erzieherinnen und Erzieher“. Dazu fördert es die Vergütung von 1800 Studierenden, die eine praxisintegrierte Ausbildung absolvieren. Hoffnungen lege es auch in die 8984 Studierenden der Sozialpädagogik, teilt es mit.

Beide Länder machen Werbung für die Arbeit in Kitas. Isabel Carqueville glaubt aber, dass man am Image nichts ändern müsse, sehr wohl aber an den Arbeitsbedingungen. Viele Fachkräfte würden in Teilzeit arbeiten, weil Vollzeit zu viel Kraft koste. Manche würden die Vor- und Nachbereitung in der Freizeit erledigen, weil sie es sonst nicht schaffen. Carqueville hat kürzlich mit Azubis gesprochen: „Einige wissen schon jetzt, dass sie in dem Beruf nicht arbeiten wollen.“ Der Personalschlüssel müsse sich verbessern, damit die angehenden Erzieher in dem Beruf hängenbleiben. Auch die Entlohnung müsste man ändern, finden Brückner und Carqueville. 2023 stehen in Hessen Tarifverhandlungen an. Die Gewerkschafterin findet: „Applaus vom Balkon reicht nicht.“