Drohungen, Beleidigungen, Angriffe: Immer wieder werden Bürgermeister und Funktionäre zur Zielscheibe. Warum sich viele im Stich gelassen fühlen.
BERLIN. Unter dem Eindruck des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke rufen Kommunalpolitiker und Vertreter der Zivilgesellschaft, die selbst bedroht werden, zu Zusammenhalt und Unterstützung auf.
Burkhard Jung (SPD), Präsident des Deutschen Städtetags und Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, fordert mehr Rückendeckung der Gesellschaft. „Ich wünsche mir, dass bei Gesprächen am Arbeitsplatz und in der Freizeit, in der Schule und in den Vereinen Menschen klar Stellung beziehen, wenn gegen andere Menschen gehetzt wird, wenn rassistische Witze gemacht werden oder eben auch gegen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker gewettert wird. Es sind Ihre Vertreter.“
Die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten stieg laut Verfassungsschutzbericht von 2017 auf 2018 um 3,2 Prozent. Die Zahl fremdenfeindlicher Körperverletzungsdelikte kletterte im selben Zeitraum gar um sieben Prozent.
Im Fokus rechtsextremistischer Hetzer, die auf einschlägigen Plattformen im Netz zum Mord aufrufen und teils sogar vorgeben, diesen zu organisieren, stehen neben Jung beispielsweise auch die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) und der Bürgermeister aus dem sauerländischen Altena, Andreas Hollstein (CDU).
In die Schlagzeilen geriet auch das knapp 3000 Einwohner zählende Tröglitz in Sachsen-Anhalt. 2015 wollte der Burgenlandkreis 40 Flüchtlinge in einem Tröglitzer Wohnhaus unterbringen. Monatelang demonstrierten Tröglitzer Bürger, aber auch die rechtsextreme NPD gegen die Pläne – teilweise sogar vor dem Privathaus des ehrenamtlichen Bürgermeisters Markus Nierth. Der Theologe gab nach massiven Drohungen schließlich sein Amt auf. „Meine Frau und ich wurden zur persönlichen Zielscheibe“, sagte Nierth.
Von seinen Mitbürgern, aber auch vom Landrat und den Parteien fühlte er sich im Stich gelassen. Dennoch betonte Markus Nierth immer wieder, Tröglitz sei kein radikaler Ort, jedoch fehlten die Sozialstrukturen. Dass im Ort 40 Asylbewerber untergebracht werden sollten, hätte anders vorbereitet werden müssen.
„Nach dem politischen Mord an Walter Lübcke habe auch ich wieder Morddrohungen bekommen. Ein Bürgermeister unter Polizeischutz kann aber sein Amt nicht mehr ausfüllen“, sagte Andreas Hollstein, der 2017 in Altena mit einem 30 Zentimeter langen Messer verletzt worden war. Der Täter begründete die Tat mit Hollsteins liberaler Flüchtlingspolitik. Hollstein: „Ich wünsche mir, dass die Bürger über die Bedrohung unserer Demokratie sprechen, dass sie sich bewusst machen, was auf dem Spiel steht.“
Betroffen vom Hass sind auch Vertreter der Zivilgesellschaft wie der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, und der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek. Dieser beklagt, dass angezeigte Morddrohungen nicht konsequent verfolgt würden. „Ich besitze vier Aktenordner mit eingestellten Verfahren nach Morddrohungen oder anderen relevanten Drohungen gegen mich“, sagte Mazyek, der für einen aufgeklärten Islam steht.
Im Januar habe er eine Morddrohung mit dem Absender „NSU 2.0“ erhalten. Bis heute habe es keine Reaktion von Sicherheitsbehörden gegeben. „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) – so nannte sich die rechte Terrorzelle um Beate Zschäpe, die von 2000 bis 2007 neun Migranten und einen Polizisten ermordet hatte. Ein abschreckendes Beispiel? Offenbar nicht für so manchen, der im World Wide Web und anderswo Hass und Drohungen versprüht.