Die digitale Revolution zwingt Gesetzgeber auf europäischer und nationaler Ebene dazu, die Nutzung geistiger Inhalte neu zu definieren. Das wirft Probleme auf.
WIESBADEN. Was ist los, wenn die Berliner Philharmoniker gemeinsam mit Bands wie den Ärzten, den Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet und Kraftwerk auftreten? Wie klingt das, wenn auch noch Herbert Grönemeyer, Joy Denalane und Tim Bendzko mitmischen? Erst einmal laut und schrill. Mehr bezwecken die Künstler auch nicht. Statt gemeinsam zu musizieren, haben die genannten Interpreten mit mehr als 500 weiteren Kunstschaffenden einen Protestbrief an Regierungspolitiker und Bundestagsabgeordnete geschrieben. Den Aufschrei hat eine „Bagatellschranke“ ausgelöst.
Was harmlos klingt, ist für Filmer, Sänger, Musiker und Autoren „hanebüchen europarechtswidrig“. Anlass für die Auseinandersetzung ist die geplante Reform des Urheberrechts, die größte und umfassendste seit Jahrzehnten; ausgelöst durch die Umwälzungen im digitalen Markt der Plattformen und Suchmaschinen. Derzeit kreist ein Entwurf bei Ämtern, Ministerien, Verbänden, Gewerkschaften und weiteren Betroffenen. Erstes Echo: So bagatell ist die Schranke offenbar nicht.
Dabei haben die Referenten im Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz nur das getan, was ihnen das Europaparlament und der Europarat im April 2019 aufgetragen haben. Binnen zwei Jahren die EU-Urheberrechtsrichtlinien zur Anpassung an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes in deutsches Recht zu übersetzen. (Lesen Sie hier den Beitrag von Christian Russ)
Die Juristen sind nicht zu beneiden. Einerseits sollen weltumspannende Konzerne und Monopolisten dazu gezwungen werden, Lizenzverträge mit Kreativen oder deren Vertretern abzuschließen und zu verhindern, dass unbezahltes Eigentum unerlaubt hochgeladen wird. Andererseits, darauf pocht zum Beispiel das Wirtschaftsministerium, soll der bürokratische Aufwand für die kommerziellen Nutzer klein gehalten werden. Doch das probateste Mittel dafür, die Upload-Filter, sind für die Bundesregierung – noch – tabu.
Das klingt nach „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Und führt zu solchen Konstruktionen wie der Bagatellschranke. In dem entsprechenden Paragraf 6, inzwischen umbenannt in Paragraf 10, ist davon die Rede, dass Inhalte von bis zu 20 Sekunden einer Audio- oder Videodatei, bis zu 1000 Zeichen eines Textes oder Bilder bis 250 Kilobyte ohne Freigabe des Rechteinhabers zum Beispiel in sozialen Medien verwendet werden dürfen.
Minimalvergütung für Schnipsel
Nicht nur die Künstler stört das. Der Publizist und langjährige „Tagesspiegel“-Herausgeber Sebastian Turner fragte kürzlich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (F.A.Z.), warum das Justizministerium nicht die EU-Richtlinie genauso, wie sie formuliert ist, übernehme. Im Haus der Viernheimer Ministerin Christine Lambrecht (SPD) schweigt man dazu und verweist darauf, dass „während die Beratungen innerhalb der Bundesregierung noch laufen ein Interview zu diesem Thema mit Ministerin Lambrecht leider nicht möglich ist“.
Das klingt, als habe man es mit einem laufenden Verfahren vor Gericht zu tun. Manche Kritik hört sich auch an wie eine Klage.
Kritiker Turner macht darauf aufmerksam, dass gut die Hälfte aller Texte in einer durchschnittlichen deutschen Tageszeitung die „1000-Zeichen-Grenze“ unterschreiten. Heißt im Klartext: 50 Prozent einer Zeitungsproduktion wäre künftig Material für eine Selbstbedienung, ohne zu bezahlen. Auch längere Texte sind laut Turner in Teilen noch verwendbar, weil der Journalist dazu erzogen sei, das Wichtigste an den Anfang zu setzen.
Zwar ist in dem Entwurf von einer Minimalvergütung für die Schnipsel die Rede. Doch die Details will man offensichtlich den Betroffenen überlassen. Die 1000-Anschläge-Regel nennt Turner in seinem Fazit „tausend Anschläge auf den Fortbestand der Lokalmedien“.
„Verlage sind massiv auf digitale Erlöse angewiesen“
Zur Finanzierung des Journalismus seien die Verlage, so erläuterte es kürzlich Mathias Döpfner, Präsident des Bundesverbands der Digitalpublisher und Zeitungsverleger, massiv auf die digitalen Erlöse angewiesen. Er kommt nach Durchsicht des Referentenentwurfs aus dem Hause von Justizministerin Lambrecht zu dem Schluss: „Was derzeit dort geplant ist, würde das Gegenteil dessen bewirken, was in Brüssel beschlossen wurde.“ Der Chef des Springer-Konzerns bekennt abermals im Gespräch mit der „F.A.Z.“, dass die Verlage Fehler gemacht hätten, als sie Inhalte anfangs im großen Stil gratis ins Netz gestellt hätten. Das sähen heute zwar alle so, aber inzwischen hätten Plattformen wie Google oder Facebook ein Quasi-Monopol über die Verwendung von Inhalten und deren Verwertung aufgebaut.
Döpfners Verband hat ebenfalls offiziell Stellung bezogen: „Der aktuelle Referentenentwurf… zur Urheberrechtsreform wird den Presseverlagen wie den Journalistinnen und Journalisten das Verfügungsrecht über ihre Werke und Leistungen entziehen.“ Die Proteste und Eingaben, auch aus anderen Ministerien, blieben offenbar nicht ohne Wirkung. Inzwischen kursiert eine erste veränderte Fassung des Entwurfs. Dieser neue Datensatz sei geleakt, hieß es im Internet, also ohne Erlaubnis des Urhebers verbreitet worden.
Von Stefan Schröder