Gastkommentar von Dirk Metz zur Kommunikation im Internet: Schnell, schärfer, am schrillsten
Von Dirk Metz
Dirk Metz.
(Foto: Metz)
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Der ehemalige Google-CEO, Eric Schmidt, hat das Internet einmal das „größte Experiment in Anarchie, das es jemals gab“ genannt. Mit den Online-Kommentaren auf Nachrichtenwebseiten und in den Sozialen Netzwerken füllt sich der Begriff Anarchie tatsächlich mit Leben. In wenigen Sekunden – ein paar Worte, ein Klick – ist die Botschaft in der Welt. So simpel kann im Netz ein Beitrag zur öffentlichen Debatte geleistet werden.
Doch schon der Chemieunterricht hat uns gelehrt: Experimente funktionieren nicht immer wie geplant. Das „Experiment Internet“ sollte die Debattenkultur revolutionieren, neue Möglichkeiten zum Meinungsaustausch eröffnen und so gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Und ja, das funktioniert auch an vielen Stellen. Scrollt man jedoch durch die Kommentare im Netz, so dominiert der Eindruck, dass in einem vor 25 Jahren unvorstellbaren Ausmaß jegliche Standards respektvollen Umgangs ad acta gelegt werden und verbale Ausfälle sich zur gängigen Sprachpraxis entwickeln. Unter dem Deckmantel der Anonymität – und sogar offen – wird hemmungslos gestänkert. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW zeigt: Der Anteil der Bevölkerung, der mit Hetze im Web konfrontiert wird, steigt. Antworteten 2016 knapp zwei Drittel der Bevölkerung, ihnen seien Hasskommentare im Internet persönlich begegnet, sind es zwei Jahre später schon 78 Prozent. Um in dieser Flut von Attacken und Gegenattacken noch wahrgenommen zu werden, überbieten sich viele User in Aggressivität, treten eine regelrechte Spirale der Eskalation los. Revolutioniert hat das Internet den gesellschaftlichen Diskurs zweifelsohne, aber in diesem Punkt leider in die falsche Richtung.
Ursächlich für einen solchen Wettkampf um die schärfste Beleidigung und das gnadenloseste Unwerturteil ist offensichtlich der Nervenkitzel der Teilnehmer: Wie finde ich viele Unterstützer für meine Meinung? Und welchen Andersdenkenden habe ich wieder ordentlich ans Bein gepinkelt? Die Beteiligung an hitzigen Debatten scheint quasi ein Spiel mit Suchtpotenzial, ähnlich wie das Online-Glücksspiel. Und da der Einsatz dank mobilem und kostengünstigem Zugang verschwindend gering, der Gewinn – „Ehre und Ruhm“ in Form von Likes und Verlinkungen – dagegen vielversprechend hoch ist, und er zudem durch die direkte Veröffentlichung binnen Sekunden kassiert werden kann, scheint das Spiel attraktiv zu sein für Menschen, die darin den Sinn ihres Lebens ausgemacht und offenbar auch zu viel Zeit haben.
UNSER GASTAUTOR
Dirk Metz ist Inhaber einer Agentur für Kommunikation und Krisenkommunikation. Zuvor war der gelernte Journalist elf Jahre Sprecher der hessischen Landesregierung. Für Metz hat das Internet den gesellschaftlichen Diskurs revolutioniert – dies aber nicht immer in die richtige Richtung.
Inzwischen ist das Klima so aufgeladen, dass sich Online-Redaktionen genötigt sehen, die Kommentarfunktionen bei kontroversen Themen auszusetzen. Die Deutsche Welle wagte nun nach schwieriger Abwägung sogar einen ebenso bitteren wie mutigen Schritt: Sie schaltete die Möglichkeit der Kommentierung vor wenigen Tagen gänzlich ab. Hass und Hetze hätten konstruktivem Meinungsaustausch zunehmend entgegengestanden. Hilft nur noch, die Leute vor sich selbst zu schützen? Beim „guten alten Leserbrief“ musste und muss der Leser nicht nur ein paar Minuten mehr investieren, um seine Gedankengänge zu sortieren und niederzuschreiben, sondern überschläft das Ganze auch nochmal, ehe der Brief schließlich mit echtem Namen und ordentlicher Postadresse das Haus verlässt.
Natürlich kann eine gute Moderation des Diskurses verhindern, dass die User sich vollkommen selbst überlassen werden und die Infrastruktur missbrauchen, um Hetze zu verbreiten. Doch das kostet Aufwand und ist immer auch ein Eingriff in die Meinungsfreiheit, der eine schwierige Bewertung der Beiträge verlangt. Auch die Bedingung, einen Kommentar nur mit Klarnamen zu veröffentlichen, kann helfen. Am humorvollsten aber handhabt es der US-Moderator Jimmy Kimmel: in seiner Show lässt er regelmäßig Prominente die bösesten Tweets vorlesen, die an sie gerichtet wurden. An den öffentlichen Pranger stellen, sicher kein schlechter Umgang mit Hass im Netz. Wobei manche Verfasser vielleicht sogar stolz sind, so groß rauszukommen. Zuzutrauen wäre es ihnen.