WM-Gastgeber Katar ist wegen Homophobie in der Kritik. Doch ist in Deutschland alles besser? Alexander Arnold von Darmstadt 98 spricht über ein Thema, das auch hier oft tabu ist.
Katar/Darmstadt. Seit der Vergabe der WM nach Katar im Jahr 2010 mangelt es nicht an Kritik am Wüstenstaat. In den vergangenen Jahren ist auch die homophobe Gesetzgebung des Landes immer wieder Thema geworden. Dabei gibt es auch in Deutschland trotz vieler Fortschritte noch einiges zu tun. Darum geht es im Interview mit Alexander Arnold, dem Beauftragten für sexuelle Vielfalt beim SV Darmstadt 98.
Herr Arnold, als Sie als Beauftragter für sexuelle Vielfalt beim SV Darmstadt 98 angefangen haben, waren die Lilien der einzige deutsche Profiverein, der so eine Stelle hatte – ist das noch immer so?
Diese Position, also als eine Person, die nur dafür da ist, ist mir bei anderen Vereinen nicht bekannt. In anderen Vereinen wird natürlich auch zu dem Thema gearbeitet, da ist es dann häufig gekoppelt an Diskriminierungsbeauftragte oder Fanbeauftragte.
Die LGBTQ-Community kritisiert die WM in Katar. Geht es da mehr um die allgemeinen Menschenrechtsverletzungen, die eigene Sicherheit oder den Umgang mit queeren Menschen vor Ort?
Also ich würde sagen, die Gleichbehandlung von Schwulen, Lesben, bi und trans sind Menschenrechte. Von daher ist das ein Teil der Kritik an den Menschenrechtsverletzungen, die in Katar stattfinden und stattgefunden haben. Es geht um Menschenrechte, die da nicht geachtet werden und da kann man auch keine Abstufung machen.
Homosexualität ist in Katar verboten und wird bestraft. Queeren Fußballfans wurde gesagt, dass sie willkommen sind, sich aber an die Regeln halten sollen. Kann man sich da als jemand aus der LGBTQ-Community in Katar sicher fühlen?
Ich persönlich war noch nie da, deswegen weiß ich das nicht. Ich persönlich würde in kein Land reisen, wo ich Angst haben müsste, wenn ich mit meinem Partner Händchen halte, verhaftet zu werden oder wo Strafen auf mich zukommen können. Nach allem, was man so hört, sehe ich es nicht als sicher an. Die Gesetze gelten nach wie vor.
Sehen Sie in der untenstehenden Liste, welche Gesetze für die queere Community in Katar gelten.
Es sind nur noch wenige Wochen bis zur WM. Kann die FIFA auch jetzt noch etwas unternehmen oder ist es dafür zu spät?
Ich glaube ja, es ist nie zu spät auf die Einhaltung von Menschenrechten zu pochen. Ob da jetzt die FIFA als Organisation der größte Verfechter von Menschenrechten sein kann? Also meine Erwartungen an die FIFA sind da eher sehr gering. Das ist das Dramatische, diese Vergabe hätte so nie stattfinden dürfen. Das Turnier hätte so nie vergeben werden dürfen und dass da jetzt über Menschenrechte hinweggesehen wird, über die Gastarbeiter, die da ums Leben gekommen sind, das ist alles sehr tragisch.
Aus vielen queeren Sportorganisationen heißt es, dass man niemanden aus der Community kenne, der nach Katar reisen will und auch der Deutschland-Direktor von Human Rights Watch hat queeren Menschen von einer Reise abgeraten – halten Sie das für gerechtfertigt?
Wie gesagt, ich war noch nicht in Katar, deswegen wird das schwierig. Was ich eingangs gesagt habe: Wenn eine rechtliche Situation so ist, für mich auch als schwulen Mann, dann fahre ich da nicht hin. Das ist meine Entscheidung. Wenn man mich fragt, würde ich auch sagen: „Lass es lieber, weil es gefährlich ist.“ Man kann natürlich auch sagen: „Mach es nicht, weil es eine ganz schlimme Sache ist, die da stattfindet und eigentlich sollte man da keinen Cent reinstecken, um das Ganze damit noch zu unterstützen.“
Katar ist was Homophobie und Ausgrenzung der LGBTQ-Community angeht sicher ein Extremfall – wie sieht es denn im Deutschen Männerfußball mit der Akzeptanz von Homosexualität aus?
Im Männerfußball ist Homosexualität immer noch ein Tabuthema. Wir erleben auf der einen Seite eine gewisse Offenheit – man positioniert sich, Vereine positionieren sich, die Regenbogenflagge ist quasi allgegenwärtig mittlerweile. Wir hatten letztes Jahr bei der Europameisterschaft bei dem Ungarn-Spiel sehr viele Stadien, die dann ein klares Zeichen gesetzt haben. An Zeichen mangelt es nicht. Ich glaube, die Frage, wie weit der Fußball ist, wird wichtig, wenn der Fall wirklich eintritt. Denn auf der anderen Seite erleben wir auch regelmäßig noch Banner, die hochgehalten werden. Das kommt dann von Fangruppierungen. Es ist, wie in der Gesellschaft auch, aber es ist einfach ein großes Tabuthema im Fußball, denn man redet über etwas Theoretisches.
Aber ich kann sagen: Schwule Fans sind im Stadion, lesbische Fans sind im Stadion, queere Menschen verfolgen Fußball. Es gibt genug queere Menschen, die Fußball lieben und auch selbst spielen – wenn vielleicht nicht als Profis, dann wenigstens auf Amateurebene. Im Frauenfußball haben wir diese Debatte gar nicht mehr – zum Glück. Und da kann der Männerfußball auch noch ein bisschen was lernen.
Der englische Fußballspieler Jake Daniels hat sich kürzlich geoutet. Klicken Sie auf die Kachel, um mehr zu erfahren.
Bei den Männern gibt es in Deutschland noch keine aktiven geouteten Profis. Woran kann das liegen?
Da kann ich nur mutmaßen. Ich glaube, dass viele Jungs gerade in der Pubertät, wenn man seine sexuelle Orientierung entdeckt und ist dann in diesem System Profifußball, wo das einfach nicht vorkommt dann fällt es schon schwer, könnte ich mir vorstellen, es entweder an sich ran zu lassen oder zu sagen: „Okay, ich nehme meine sexuelle Orientierung mit in diese Welt des Profifußballs.“.
Wird im deutschen Profifußball denn genug gegen Homophobie beziehungsweise für die Akzeptanz von queeren Personen getan?
Antidiskriminierungsarbeit kann nie genug da sein. Alles, was gemacht wird, geht in eine richtige Richtung. Aber solange wir homofeindliche, transfeindliche Äußerungen haben, können wir damit nicht aufhören. Es müsste eigentlich noch mehr passieren. Solange irgendwo Banner hochgehalten werden, muss man klare Zeichen setzen und muss man arbeiten.
Es ist auch nicht nur Profifußball, der natürlich eine große Wirksamkeit hat. Es ist auch im Amateurbereich so. Denn die Leute, die auf den Tribünen stehen, sind oft auch die Leute, die ansonsten in den Amateurvereinen kicken, die dort mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, viel ehrenamtliche Arbeit machen, die dann auch gut funktioniert. Nur bei manchen fällt dann im Stadion so ein Schalter um.