Die Reform des Urheberrechts ist ein Kulturkampf

Christian Russ ist Spezialanwalt im Urheber- und Medienrecht, lehrt unter anderem an der Uni Mainz und der Fachhochschule Wiesbaden und ist Autor mehrerer medienrechtlicher Kommentare. Foto: Russ

Medienrechtsexperte Christian Russ über die Schwierigkeiten, das Urheberrecht zu reformieren.

Anzeige

. Sinn und Zweck von Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform – korrekt: „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Bin-nenmarkt“ – waren: Derjenige, der mit den Werken der Urheber das Geld verdient, soll auch für das Einstellen dieser Inhalte haften.

Das ist in der Medienwelt ein alter Hut: Wer Texte, Musik, Fotografien oder Filme gewerblich verwertet, der muss bei den Urhebern eine Lizenz erwerben und sie an den Einnahmen beteiligen. Bei Plattformen wie Youtube funktionierte dieses System nicht mehr: Die Rechte der Urheber wurden vielfach verletzt, eine Verfolgung der Uploader war unmöglich, das Geld aus den Werbeeinnahmen landete vor allem bei Youtube – die Ur-heber, die den Content geschaffen hatten, gingen weitgehend leer aus.

Die Diskussion um Artikel 13 erreichte fast beängstigende Ausmaße. Es gab Hassmails und Shitstorms, Morddrohungen und Verschwörungsvorwürfe gegen Axel Voss (CDU), den Berichterstatter im Rechtsausschuss des Europaparlaments. Voss wurde als „Zerstörer des Internets“ kritisiert. Nach langem Ringen wurde Artikel 13 in Artikel 17 umbenannt und vom EU-Parlament und Europäischen Rat im April 2019 angenommen. Die damalige Justizministerin Katharina Barley (SPD) stimmte zwar dafür, gab aber zu Protokoll, Uploadfilter dürfe es nach der Umsetzung in deutsches Recht nicht geben. Eine Lizenzlösung aber auch nicht.

Artikel 17 enthält zehn Absätze mit Regeln, Ausnahmen, Gegenausnahmen. Die EU-Staaten müssen die Regeln binnen 24 Monaten – also bis Mai 2021 – in nationales Recht umsetzen. Nach Absatz 1 sind die „Diensteanbieter“ jetzt die urheberrechtlich Verantwortlichen. Für die Inhalte auf ihren Plattformen benötigen sie künftig Lizenzen der Urheber.

Anzeige

Fehlt es an der Lizenz, etwa weil der Urheber sie nicht erteilen will oder die Plattform den Urheber nicht ermitteln kann, dann darf der Inhalt nicht sichtbar gemacht werden. Geschieht dies dennoch, liegt ein Urheberrechtsverstoß vor, für den der Diensteanbieter haftet. Er kann sich jedoch von der Haftung befreien, indem er drei Bedingungen erfüllt: Hat er sich (erstens) intensiv um die Lizenz bemüht, hat er (zweitens) alle Anstrengungen zur Verhinderung von Urheberrechtsverstößen unternommen und hat er (drittens) illegale Uploads nach Kenntnis sofort geblockt oder gelöscht, ist er aus dem Schneider.

Bei der zweiten Bedingung kommen Uploadfilter ins Spiel. Da der Plattformbetreiber nicht ahnen kann, welche Inhalte die Nutzer hochladen werden, müsste er vorab Rechte an einer unübersehbaren Vielzahl von Werken erwerben, bei denen teilweise nicht einmal klar ist, wer die Rechte besitzt. Mit Ausnahme der Musikrechte, die gebündelt von der GEMA wahrgenommen werden, gibt es derzeit keine zentralen Stellen, bei denen alle notwendigen Rechte etwa an Texten, Filmen oder Fotos eingeholt werden können.

Solange dies nicht funktioniert, bleiben nur die Uploadfilter. Ohne sie wäre das Internet ein Schreckensort. Dass man sie in anderen Bereichen akzeptiert, beim Urheberrecht aber als Teufelswerk schmäht, mag daran liegen, dass das geistige Eigentum im Vergleich zum Sacheigentum als weniger bedeutsam eingeschätzt wird. Im Gegensatz zu körperlichen Sachen ist das Urheberrecht unsichtbar, es ist „immateriell“ – und daher in einer Welt gefährdet, die sich daran gewöhnt hat, dass im Internet vieles umsonst zu haben ist.

Artikel 17 bürdet den Nationalstaaten auf, den Artikel in eigenes Recht umzusetzen. Wie so oft ein Kompromiss, der es allen Recht machen wollte: Die Plattformen sollen Lizenzen einholen und müs-sen alles tun, um Rechtsverletzungen zu verhindern. Wie genau, das sagt die Richtlinie nicht. Zudem müssen die Plattformen dafür sorgen, dass zu Unrecht gesperrte Inhalte unverzüglich sichtbar werden; für die Nutzung von Werken für Zitate, Kritiken, Rezensionen, Karikaturen, Parodien oder Pastiches müssen die Mitgliedsstaaten Ausnahmen oder Beschränkungen vorsehen.

Für Start-Ups gelten geringere Anforderungen der Enthaftung; von der Haftung gänzlich ausgenommen sind nicht gewinnorientierte Online-Enzyklopädien (etwa Wikipedia), nicht gewinnorientierte bildungsbezogene und wissenschaftliche Einrichtungen, Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste wie WhatsApp oder Twitter, Online-Marktplätze wie eBay oder Cloud-Dienste.

Anzeige

Von Christian Russ