Der Verfassungsschutz darf weniger Geheimnisse haben

Der hessische Verfassungsschutz muss auch dann Auskunft erteilen, wenn die Akte, aus der die Informationen stammen, als „Geheim“ eingestuft ist. Das hat der...

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KASSEL. (cc). Der Verwaltungsgerichtshof Kassel hat mit seinem Beschluss vom 20. November die Rechte der Presse gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz gestärkt. Der VGH entschied, dass eine als „geheim“ eingestufte Verschlusssache kein Auskunftsverweigerungsrecht begründet. Behörden seien vielmehr verpflichtet, der Presse Auskunft zu geben, um ihr zu ermöglichen, „umfassend und wahrheitsgetreu Informationen über Geschehnisse von öffentlichem Interesse im staatlichen Bereich zu erhalten“. Erst der ungehinderte Zugang zu Informationen versetze Journalisten in die Lage, „die ihr in der freiheitlichen Demokratie zukommende Funktion wahrzunehmen“. Einen Anspruch auf Akteneinsicht habe die Presse allerdings nicht. Der Verfassungsschutz müsse zudem den Schutz seiner Quellen, der für ihn unverzichtbar sei für das Anwerben und Führen von V-Männern, wahren können. Mit dem Beschluss, der unanfechtbar ist, muss der hessische Verfassungsschutz weitere Fragen zu Stephan Ernst, dem mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, beantworten. Geklagt hatte Stefan Aust, Herausgeber der Tageszeitung Die Welt zusammen mit Dirk Laabs, Autor des Buches „Heimatschutz, der Staat und die Mordserie des NSU“. Mit ihrem Beschluss haben die Kasseler Richter eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden teilweise abgeändert.

Spekuliert wird, dass Stephan Ernst Kontakte zum Umfeld des rechtsterroristischen NSU gehabt haben könnte. Am Rande des NSU-Umfeldes hatte sich der V-Mann Benjamin G. bewegt, den der hessische Verfassungsschutz unter dem Decknamen „Gemüse“ geführt hat. Geführt worden war er von Andreas Temme, einem Verfassungsschützer, der in dem Internet-Café war, in dem der NSU Halit Yozgat als letztes Opfer hingerichtet hatte.

Aust und Laabs haben daher dem Verfassungsschutz Fragen nicht nur zu Stephan Ernst, sondern auch zu Benjamin G. und Andreas Temme gestellt. Und sie wollten wissen, inwieweit 2006 der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) in der Affäre um Temme interveniert hatte. Aus der jetzt vorliegenden Antwort des Verfassungsschutzes geht hervor: Es gibt hierzu keine Dokumente und Hinweise.

Sämtliche Fragen beziehen sich auf eine Untersuchung des Verfassungsschutzes, mit der er sich 2014 selbst geprüft hat, ob er seit Beginn der 1990er Jahre Hinweise auf den NSU übersehen hatte. Der Bericht war ursprünglich bis zum Jahr 2134 als „geheim“ eingestuft. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) hat die Geheimhaltungsfrist zwischenzeitlich auf 30 Jahre verkürzt.

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Die Kasseler Richter begründeten jetzt ihre Forderung nach mehr Transparenz unter anderem damit, dass die Berichterstattung über die NSU-Morde gerade vor dem Hintergrund des Mordes an Walter Lübcke nach wie vor aktuell sei. Bestätigt werde dies durch Presseberichte über Verbindungen zwischen Temme und Stephan Ernst.