Beschluss: Bundesnotbremse war "verfassungsmäßig"

aus Coronavirus-Pandemie

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An diesem Dienstag verkündet das Bundesverfassungsgericht sein mit großer Spannung erwartetes Urteil zur ersten Bundesnotbremse aus dem Frühjahr Foto: dpa

Am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht über die Maßnahmen aus der dritten Corona-Welle entschieden. Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen waren zulässig.

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BERLIN. Der Bund durfte in der dritten Pandemie-Welle im Frühjahr über die sogenannte Corona-Notbremse Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen verhängen. Die Maßnahmen hätten in erheblicher Weise in verschiedene Grundrechte eingegriffen, seien aber "in der äußersten Gefahrenlage der Pandemie" mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen, teilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Dienstag mit.

In einem zweiten Verfahren wiesen die Richterinnen und Richter Klagen von Eltern und Schülern gegen die damals angeordneten Schulschließungen ab. Gleichzeitig erkannten sie erstmals ein "Recht der Kinder und Jugendlichen gegenüber dem Staat auf schulische Bildung" an. (Az. 1 BvR 781/21 u.a.)

Mit den beiden Entscheidungen des Ersten Senats unter Gerichtspräsident Stephan Harbarth bekommt die Politik auch Hinweise für ihren Handlungsspielraum in der aktuellen vierten Welle. Die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr designierter Nachfolger Olaf Scholz (SPD) wollen sich um 13 Uhr mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder zusammenschalten, um im Lichte der Karlsruher Beschlüsse über die Krise zu beraten.

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Die Notbremse im Infektionsschutzgesetz (Paragraf 28b) war zeitlich befristet und Ende Juni außer Kraft getreten. Der Bund wollte damit sicherstellen, dass überall im Land dieselben Maßnahmen greifen, sobald sich die Corona-Lage in einer Region zuspitzt. Sie musste seit dem 24. April automatisch gezogen werden, wenn die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt mehrere Tage lang die 100 überschritt. Der Wert gibt an, wie viele Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner es binnen einer Woche gibt.

Vorgesehen war dann unter vielem anderem, dass nachts zwischen 22.00 und 5.00 Uhr niemand mehr draußen sein durfte. Nur Sport allein war bis 24 Uhr erlaubt. Außerdem gab es verschiedene Ausnahmen, zum Beispiel in medizinischen Notfällen, wegen des Berufs oder "zur Versorgung von Tieren". Menschen aus einem Haushalt durften sich nur mit einer anderen Person und deren Kindern bis 14 Jahre treffen.

Mehr als 300 Verfassungsbeschwerden und Eilanträge

Schulen war vorgegeben, ab dem Schwellenwert 100 auf Wechselunterricht umzustellen, ein Teil der Schüler musste also zu Hause bleiben. Ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 165 war Präsenzunterricht ganz untersagt. Auch hier gab es Ausnahmen.

Die Einführung der Notbremse hatte eine Klagewelle in Karlsruhe ausgelöst. Weil die Maßnahmen direkt per Bundesgesetz vorgeschrieben wurden, war der Umweg über die Verwaltungsgerichte nun nicht mehr nötig. Bis zur zweiten Augusthälfte waren beim Verfassungsgericht mehr als 300 Verfassungsbeschwerden und Eilanträge eingegangen - teilweise gemeinschaftlich eingereicht, so dass es mehr als 8500 Klägerinnen und Kläger gab, wie das Gericht damals mitteilte.

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Im frisch überarbeiteten Gesetz der künftigen Ampel-Koalitionäre sieht der Paragraf anders aus und enthält nun zum Beispiel die 3G-Regel am Arbeitsplatz. Aus mehreren Ländern gab es zuletzt aber Forderungen nach einer Neuauflage der "Bundes-Notbremse".

Spahn: Verfassungsgericht schafft Klarheit für Corona-Kurs

Der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn sieht nach der Corona-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Klarheit für weitere Krisenmaßnahmen. "Die Bundesnotbremse war verhältnismäßig, weil der Staat Leben und Gesundheit seiner Bürger schützen musste", sagte der CDU-Politiker am Dienstag in Berlin mit Blick auf die Gerichtsbeschlüsse. "Das sollte jetzt auch den Parteien Orientierung bieten, die wegen verfassungsrechtlicher Bedenken schärfere Maßnahmen bislang ausgeschlossen haben."

Spahn betonte, der Richterspruch sei jedoch auch kein Freibrief für willkürliche Eingriffe in Grundrechte. Bundesweite Einschränkungen des öffentlichen Lebens müssten zeitlich befristet sein, regional ausdifferenziert werden und sich am Pandemiegeschehen orientieren. "Das sollte jetzt wieder so sein. Wir brauchen entschlossenes staatliches Handeln, um die vierte Welle zu brechen."

Von dpa