95 Prozent der Lokführer der GDL haben für einen Streik gestimmt. Beginnen wird er im Personenverkehr der Deutschen Bahn voraussichtlich schon in der Nacht auf Mittwoch.
FRANKFURT. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ruft zum Streik bei der Deutschen Bahn auf. Der Ausstand soll im Güterverkehr bereits am Dienstagabend um 19 Uhr beginnen, kündigte der GDL-Vorsitzende Caus Weselsky am Dienstag in Frankfurt an. Es folgt ein bundesweiter 48-stündiger Streik im Personenverkehr und in der Bahn-Infrastruktur vom Mittwoch, 2 Uhr, bis Freitag, 2 Uhr. Mittwoch und Donnerstag soll nur ungefähr jeder vierte geplante Fernzug bei der Deutschen Bahn fahren. Beim Regionalverkehr werde das ebenfalls eingeschränkte Angebot regional stark schwanken, teilte das Unternehmen mit. Die Einschränkungen dürften sich bis weit in den Freitag hineinziehen.
Zuvor hatten bei einer Urabstimmung 95 Prozent der teilnehmenden Mitglieder für einen Arbeitskampf votiert. Damit sei die notwendige Zustimmung von 75 Prozent weit übertroffen worden, erläuterte Weselsky . Nach seinen Angaben beteiligten sich 70 Prozent der Mitglieder bei der Deutschen Bahn an der Urabstimmung. Die GDL will nach den Worten Weselskys eine Nullrunde im laufenden Jahr nicht akzeptieren, verlangt eine deutliche Corona-Prämie und Einkommenssteigerungen von 3,2 Prozent bei einer Laufzeit von 28 Monaten.
Streik als "Attacke auf das ganze Land"
Die Bahn will angesichts von neuen Milliardenverlusten während der Corona-Pandemie und großen Flutschäden einen länger laufenden Tarifvertrag und spätere Erhöhungsstufen bei gleicher Prozentzahl. Ein Streik wäre eine "Attacke auf das ganze Land", hatte Bahn-Personalchef Martin Seiler erklärt. Es sei eine Eskalation zur Unzeit. "Gerade jetzt, wenn die Menschen wieder mehr reisen und die Bahn nutzen, macht die GDL-Spitze den Aufschwung zunichte, den wir in Anbetracht der massiven Corona-Schäden dringend brauchen", teilte Personalchef Martin Seiler am Dienstag mit. Er kritisierte, die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) habe sich nicht an ihre Ankündigung gehalten, den Kunden ausreichend Vorlauf zu lassen, bevor der Streik beginnt. "Gerade in einem systemrelevanten Bereich wie der Mobilität gilt es jetzt, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und nicht unsere Kunden zu belasten", mahnte Seiler. Eine Einigung in der Tarifrunde sei weiterhin möglich. Die GDL-Spitze müsse an den Verhandlungstisch zurückkehren.
Dementsprechend hat der Fahrgastverband Pro Bahn hat den Streik der Lokführergewerkschaft GDL kritisiert. "Das ist deutlich zu kurzfristig", sagte der Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann am Dienstag. Die Kunden brauchten mehr Zeit, um ihre Reisen umzuplanen. "Ein Streik richtet sich bei der Bahn nicht nur gegen das Unternehmen, sondern auch gegen weite Teile der Bevölkerung. Viele Fahrgäste können nicht ausweichen." Naumann appellierte an die Tarifpartner, weiter zu verhandeln. "Muskelspiele bringen niemanden weiter."
Keine Details zu Notfallplänen
Die Fahrgastvertreter fordern seit langem, dass die Bahn und ihre Gewerkschaften außerhalb von Tarifkonflikten feste Streikfahrpläne vereinbaren. Damit könne im Streikfall für die Fahrgäste ein verlässliches Notangebot aufrechterhalten werden. Als Beispiel dafür nannte Naumann Italien. Notwendig sei auch die rechtzeitige Ankündigung des Streiks. "Es sollten mindestens 24 Stunden sein, besser noch 48 Stunden."
Die Bahn hatte am Montag allerdings keine Details zu Notfallplänen genannt. Beim letzten GDL-Lokführer-Streik vor sechs Jahren hatte man einen Notfahrplan erstellt, um zumindest etwas Betrieb aufrechtzuerhalten. Im Fernverkehr konnte etwa ein Drittel der Züge fahren, vor allem auf den Hauptstrecken vom Ruhrgebiet nach Osten sowie von Hamburg nach Süden. Auch im Regionalverkehr und bei S-Bahnen dürfte bei einem Lokführerstreik ein Großteil der Züge ausfallen. Der gestörte Betriebsablauf könnte dann auch bei Konkurrenten der Deutschen Bahn zu Einschränkungen führen.
Neben dem Streit über Einkommenszuwächse tobt im Konzern ein Machtkampf zwischen der GDL und der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Für die GDL sind hohe Tarifabschlüsse für möglichst viele Berufsgruppen und Beschäftigte eine Frage des Überlebens und der künftigen Wachstumsmöglichkeiten. Denn die Bahn muss das Tarifeinheitsgesetz umsetzen. In den rund 300 Betrieben des Unternehmens soll danach nur noch der Tarifvertrag der jeweils größeren Gewerkschaft zur Anwendung kommen. Meist ist das die EVG. Die GDL hat deshalb angekündigt, der Konkurrenz Mitglieder abjagen zu wollen.
Bahn arbeitet an Ersatzfahrplänen für Streik
Die Deutsche Bahn stellt wegen des angekündigten Streiks Ersatzfahrpläne auf. Diese sollten am Dienstagnachmittag um 15 Uhr auf der Website der Bahn veröffentlicht werden, kündigte Vorstandsmitglied Martin Seiler am Dienstag an. "Wir wollen so viel wie möglich fahren." Den Fahrgästen wolle man maximale Kulanz gewähren. Die Lokführergewerkschaft GDL will am Dienstagabend ihren Streik beginnen, zunächst im Güterverkehr, am Mittwoch dann auch im Personenverkehr. Seiler bekräftigte, die Bahn sei jederzeit bereit, dir Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft wieder aufzunehmen.
Erster Streik seit 2018
Es ist der erste Streik bei der Bahn seit Dezember 2018, als die EVG ihre Mitglieder zum Arbeitskampf aufrief. Weitaus härter verlief der GDL-Streik 2014 und 2015. In acht sich steigernden Wellen legten die Lokführer unter Weselskys Führung die Arbeit nieder und weite Teile des Streckennetzes lahm. Die EVG hatte schon im vergangenen Herbst einen Tarifabschluss mit der Bahn unterschrieben. Dieses Jahr gab es eine Nullrunde. Anfang 2022 erhalten die Beschäftigten 1,5 Prozent mehr Geld. Betriebsbedingte Kündigungen sind ausgeschlossen.
Streik trifft U-Bahnen in Frankfurt
Auch Pendler im Rhein-Main-Gebiet müssen sich am Mittwoch und Donnerstag auf Auswirkungen des angekündigten Streiks der Lokführergewerkschaft GDL bei der Deutschen Bahn einstellen. Nach Angaben des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV) vom Dienstag werden davon "aller Voraussicht nach" auch S-Bahn-Linien betroffen sein, außerdem diverse Regionalbahnlinien. Es könne zu Verspätungen und Zugausfällen kommen.
Wie die Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF) und die Frankfurter Nahverkehrsgesellschaft traffiq mitteilten, sollen deswegen die Kapazitäten auf den U-Bahnlinien der Mainmetropole maximiert werden und diese mit mehr Wagen fahren. Die Linien U1, U2, U3, U6 und U8 werden laut Mitteilung mit Drei-Wagen-Zügen unterwegs sein, die U4 mit vier, die U5 mit zwei und die U7 mit bis zu vier Wagen. Die Verkehrsgesellschaften raten den Fahrgästen, sich kurz vor Fahrtantritt per App, im Internet oder telefonisch über die Verbindungen zu informieren. Von Mittwoch, 2 Uhr, bis Freitag, 2 Uhr, sind die GDL-Mitglieder im Personenverkehr zum Streik aufgerufen. Die Gewerkschaft vertritt die meisten Lokführer, Fahrgäste müssen mit zahlreichen Zugausfällen und Verspätungen rechnen.
Von dpa