Die Pro Familia Beratungsstelle in Wiesbaden erklärt, wo ungewollt Schwangere Hilfe finden, wie die Rechtslage ist und was sich durch die Abschaffung des Paragrafen 219a ändert.
WIESBADEN. „Keine Frau braucht eine Argumentationsliste mitzubringen oder Nachweise über die Schwangerschaft vorzulegen, denn jede Frau hat grundsätzlich ein Recht auf eine Schwangerschaftskonfliktberatung“, stellt Katrin Hannappel klar. Sie führt gemeinsam mit fünf weiteren Kolleginnen unter der Leitung von Sandra Pappert-Rausch Schwangerschaftskonfliktberatungen bei Pro Familia in Wiesbaden durch. Doch Frauen haben nicht nur einen Anspruch auf Beratung, sondern auch auf den Beratungsschein: „Das ist oft wichtig zu erwähnen, weil es dann erst möglich wird, überhaupt mit der Betroffenen ins Gespräch zu kommen.“
Rund 96 Prozent der in Deutschland pro Jahr abgebrochenen Schwangerschaften (etwa 95.000) finden nach der sogenannten Beratungsindikation statt. Das bedeutet, ungewollt Schwangere müssen ein Beratungsgespräch bei einer offiziellen Stelle führen und erhalten dort einen Beratungsschein, der dann beim Arzt vorgelegt werden muss. In Wiesbaden gibt es vier Beratungsstellen: Das Diakonische Werk Wiesbaden, Donum Vitae, der Sozialdienst katholischer Frauen und Pro Familia. Der Sozialdienst katholischer Frauen ist dabei die einzige Beratungsstelle, die keinen Beratungsschein ausstellt und Pro Familia die einzige nicht-konfessionelle Anlaufstelle. Wie beurteilt Pro Familia, als laut eigener Aussage in Deutschland führender Verband im Bereich der Partnerschafts- und Sexualberatung, die Versorgungs- und Informationslage für ungewollt Schwangere in Wiesbaden?
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Insgesamt seien ihnen sechs gynäkologische Praxen in Wiesbaden bekannt, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, erklärt Pappert-Rausch. Krankenhäuser, die Abbrüche durchführen, kennen sie keine. „Ich glaube aber, die Vorstellung, dass der Abbruch ambulant vorgenommen wird, finden die Frauen ganz gut“, schildert die Geschäftsführerin der Wiesbadener Geschäftsstelle von Pro Familia ihre Erfahrung.
Wenige Anlaufstellen für medikamentösen Abbruch
Allerdings sei die Versorgung mit Ärzten nicht überall die beste. So herrsche zwar in Wiesbaden eine fast „privilegierte Situation“, aber im Rheingau-Taunus-Kreis und Limburg-Weilburg sehe das schon ganz anders aus. Der Rückgang der Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführten, sei hier deutlich zu spüren. Ein Problem liege in der ärztlichen Ausbildung: „Das Thema findet im Medizin-Studium nicht statt.“
Mit den sechs Gynäkologen in Wiesbaden sei man in einem regelmäßigen Austausch darüber, unter welchen Rahmenbedingungen diese Schwangerschaftsabbrüche durchführen, so Pappert-Rausch. Dabei habe sich gezeigt, dass nur sehr wenige der Ärzte einen „medikamentösen Abbruch“, eine Alternative zur operativen Methode, die meist bis zur achten Schwangerschaftswoche möglich ist, anbieten. Obwohl laut der Pro Familia Chefin „der Bedarf da“ sei. Generell informierten Ärzte auch meist nicht an öffentlicher Stelle darüber, dass sie Abtreibungen durchführen. „Man überlegt es sich als Arzt gut, über Schwangerschaftsabbrüche zur informieren – wegen Anfeindungen durch Protestierende, aber auch von Patienten oder innerhalb der Kollegenschaft.“ Davor schütze die Ärzte leider auch die Abschaffung des Paragrafen 219a nicht.
„Informationslage geht gegen Null“
Trotzdem sieht Pappert-Rausch die Gesetzesänderung als „Silberstreif“, denn aktuell gehe „die Informationslage gegen Null“. „Es geht um Information, nicht um Werbung. Es geht nicht um Flatrate-Abbrüche“, sagt sie und zeigt als positives Beispiel einen Flyer vom Frankfurter Westend Medical Center, in dem die Rechtslage, Kostenfrage und Hinweise für das Verhalten vor und am Operationstag aufgelistet sind. So könnten die Informationen also aussehen, die nun möglich sind. Doch die Wiesbadener Pro Familia Chefin macht auch klar: „Es ist und bleibt ein Tabuthema.“
Das erlebt auch Beraterin Hannappel täglich: „Oft sind wir die Einzigen, mit denen die Frauen überhaupt über das Thema sprechen.“ Die Beratungsgespräche, die stets dem „Auftrag zum Schutz des ungeborenen Lebens“ folgten, würden „ergebnisoffen“ geführt, erklärt Hannappel weiter. Wichtig sei jedoch, dass Frauen die gesetzlich vorgeschriebene Bedenkzeit von drei Tagen einhielten.
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Auch bei Fragen zu den Kosten (die Krankenkasse stellt einen Berechtigungsschein aus, die effektiven Kosten trägt das Land Hessen) und der Nachsorge sowie einer vertraulichen Geburt werden Schwangere bei Pro Familia beraten. Kostenfrei, vertraulich und auf Wunsch auch anonym.
Was sie sich noch wünschen würden? Eine gesetzliche Regelung, wenn mal wieder Protestierende vor der Tür stehen. „Es ist kein Vergleich mit der Frankfurter Beratungsstelle, aber wir hatten sie hier auch schon zweimal“, sagt Pappert-Rausch. So könne die Anonymität der Frauen, die zu ihnen kämen, nicht gewährleistet werden. „Dafür müssen Politik und Verwaltung sorgen.“