Bensheim, Dieburg und Rüsselsheim günstig, Lampertheim teuer, Darmstadt dazwischen: Versorger berechnen für jede Kommune eigene Tarife. Warum eigentlich?
Südhessen. Bitte anschnallen und gut festhalten: Wer die Entwicklung der Strompreise in den vergangenen zwölf Monaten verfolgt – als Elektrizitätsnutzer und -bezahler tun wir das letztlich alle, spätestens wenn die Abrechnung kommt – und auf die Prognosen für die nächste Zeit blickt, dem kann schon mal flau im Magen werden. Nach dem stürmischen Preisanstieg im vorigen Jahr im Zuge des Abschieds vom russischen Billigstrom scheint der obere Wendepunkt erreicht, der größte regionale Versorger Entega hat soeben für April eine drastische Preissenkung angekündigt (wir haben berichtet).
Preisauf- und abschwünge dürften allerdings auch in Zukunft nichts ändern an einem Sachverhalt, den mancher Kunde rätselhaft oder ärgerlich findet: Die Stromtarife sind unterschiedlich für die Bewohner verschiedener Städte und Gemeinden. Das gilt auch in einer überschaubaren Region wie Südhessen und mancherorts sogar für unmittelbar benachbarte Kommunen. Dabei dürfte klar sein, dass die Versorgungsunternehmen den Strom an internationalen Energiebörsen bei Großhändlern für ihren jeweiligen Gesamtbedarf einkaufen - und nicht etwa hier für Gemeinde A, dort für Gemeinde B.
Schauen wir uns beispielhaft die Tarife einiger Versorger näher an, mit Blick auf Preisunterschiede in Südhessen. Die meisten bieten einen Online-Tarifrechner an. Wir nehmen einen Haushalts-Jahresverbrauch von 4000 Kilowattstunden an und wollen Ökostrom.
Viele Netzbetreiber in der Region aktiv
Größter regionale Spieler ist die Entega, ein Unternehmen der Darmstädter Stadtwirtschaft. Hier stoßen wir gleich auf das Problem, dass der Tarifrechner aktuell abgeschaltet ist – wohl im Vorgriff auf die angekündigte Preissenkung. Mitte der Woche waren die Unterschiede noch sichtbar. Nimmt man den Unternehmenssitz Darmstadt als Referenzwert, so zahlen Stromkunden in Groß-Gerau demnach 41 Euro weniger im Jahr. In Dieburg sind es 32 Euro weniger, ebenso in Erbach im Odenwald. Kunden in Heppenheim zahlen jährlich 20 Euro weniger als in Darmstadt, im benachbarten Bensheim sind es sogar 103 Euro weniger. Teurer ist der Entega-Ökostrom im südlichen Ried: In Lampertheim kostet er 25 Euro mehr pro Jahr, in Viernheim sind es 42 Euro mehr (alle Beträge gerundet).
„Der von Ihnen angesprochene Sachverhalt hängt mit unterschiedlichen Netznutzungsentgelten zusammen”, erklärt auf Anfrage Emtega-Sprecher Michael Ortmanns. „Daher kann es in Einzelfällen auch bei räumlich nahe beieinander liegenden Gemeinden zu unterschiedlichen Preisen kommen.”
In der Tat tummelt sich zwischen Rhein, Main und Neckar eine Vielzahl von Elektrizitätsnetzbetreibern. Platzhirsch ist die Entega-Tochter E-Netz Südhessen, aber tätig sind in der Region unter anderem auch die Netzbetreiber EWR (Worms), Süwag (Frankfurt), Überlandwerk Groß-Gerau, GGEW (Bensheim), Stadtwerke Mainz Netze, Energieversorgung Rüsselsheim und ENO (Offenbach). Es gibt sogar in manchen Städten mehrere Grundnetzbetreiber, teils getrennt nach Mittel- und Niederspannungsnetzen.
Die GGEW AG tritt auch als regionaler Versorger auf. Wiederum im Vergleich zu Darmstadt zahlen GGEW-Stromkunden in Dieburg, Erbach, Pfungstadt und Michelstadt mit den genannten Rahmenbedingungen jeweils 32 Euro weniger im Jahr. In Heppenheim und Bensheim sind es jeweils 71 Euro weniger. Kunden aus Weiterstadt zahlen 19 Euro weniger, in Riedstadt sind es 30 Euro weniger. Auch bei der GGEW muss in Lampertheim (plus 44 Euro) und Viernheim (plus 60 Euro) mehr gezahlt werden als in Darmstadt.
Größter deutscher Stromanbieter ist der in Essen ansässige, bundesweit präsente Großversorger E.ON. Blicken wir auf seine Tarife, erneut mit Darmstadt als Referenz, ist das Bild ähnlich wie bei der GGEW: 12 Euro geringere Jahreskosten in Groß-Gerau, je 18 Euro weniger sind es in Weiterstadt und Pfungstadt, je 32 Euro weniger in Dieburg, Erbach, Michelstadt und Riedstadt. In Heppenheim und Bensheim werden je 71 Euro weniger fällig, in Rüsselsheim sind es sogar 83 Euro weniger. Dagegen zahlen auch bei E.ON Kunden aus Lampertheim (plus 38 Euro) und Viernheim (plus 78 Euro) mehr als in Darmstadt.
Die Netzentgelte seien von den Netzbetreibern zu kalkulieren, erklärt die Bundesnetzagentur. Dabei sind die Betreiber jedoch nicht frei: Regulierungsbehörden legen für sie zulässige Erlösobergrenzen fest. Diese ergeben sich aus behördlich geprüften Kosten für Betrieb, Unterhaltung und Ausbau des Netzes zuzüglich des als zulässig bestimmten Gewinns und jährlichen Anpassungen.