Steigende Energie- und Lebenshaltungskosten haben schon jetzt dramatische Folgen: Was das für die Bewohner der Einrichtungen in Darmstadt, Groß-Gerau, Höchst und Dieburg bedeutet.
SÜDHESSEN. Ist ein Platz im Alten- und Pflegeheim in diesem Winter überhaupt noch bezahlbar angesichts der steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten? Die Lage ist dramatisch: „Bereits jetzt sind über 30 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner durch ihr Leben bei uns zu Sozialhilfeempfängern geworden“, sagt Patricia Roßbach-Jauernik, Leiterin der Emilia Seniorenresidenz GmbH in Darmstadt. Tendenz steigend.
Sie sagt: „Künftig werden immer mehr Menschen im Alter zu Sozialhilfeempfängern werden“. Die steigenden Kosten blieben somit letztlich bei den Städten und Gemeinden hängen. „Dabei sind die Etats für Sozialleistungen bereits heute die größten Batzen für die kommunalen Haushalte – und die Altenheime sind ja nicht alleine mit ihren finanziellen Sorgen.“
Geld der Pflegekassen reicht nicht aus
Der Eigenanteil für die Bewohnerinnen und Bewohner der Emilia Seniorenresidenz ist, unabhängig vom Pflegegrad, immer gleich. Er liegt bei knapp über 3000 Euro im Monat. Anteilige Kosten, etwa für Pflegeleistungen, zahlen bei den Pflegegraden 2 bis 5 die Pflegekassen hinzu. Der Betrag ist seit 2017 nicht erhöht worden, sagt Roßbach-Jauernik. „Bei Pflegegrad 2 sind das monatlich 770 Euro. Das deckt noch nicht einmal 35 Prozent der Kosten nur für die Pflege.“
Das Problem sei, dass die Bewohner das Leben in der Einrichtung selbst zu finanzieren haben. Auch sämtliche Steigerungen in den Vergütungen der Mitarbeitenden – etwa bei Tariferhöhungen – müssten sie zahlen, ebenso wie die Kosten für Nahrungsmittel, Energie, Investitionen, Instandhaltungen der Gebäudekomplexe, Reinigung, Logistik. „In den Pflegeeinrichtungen wird sogar die Ausbildung von neuen Pflegekräften von den Bewohnern bezahlt, auch das halte ich persönlich für einen besonders eklatanten Fehler im System.“
Einsparpotenziale werden geprüft
Die Möglichkeiten, in den Einrichtungen Energie zu sparen, ist begrenzt. Mission Leben – das Unternehmen betreibt unter anderem Altenheime in Groß-Gerau, Höchst und Dieburg – teilt mit, dass ein Krisenstab zum Thema Energieknappheit installiert wurde, um kurzfristige Maßnahmen zur Energieeinsparung wie die Anpassung der Beleuchtung und die Optimierung der Heizungsanlage zu prüfen. Auch die Auswirkungen der Einsparungen auf den Tagesablauf der Bewohnerinnen und Bewohner habe der Krisenstab im Blick. Was die steigenden Kosten angeht, stehe das Unternehmen mit den Kostenträgern in Verhandlungen. Unter anderem gehe es dabei auch um die Erhöhung der Entgelte.
In den beiden Einrichtungen der Emilia Seniorenresidenz in Darmstadt werden derzeit alle Gebäude auf Schwachstellen untersucht. Alle Mitarbeitenden und auch die Bewohner sind angehalten, auf geöffnete Fenster, Heizungen, Licht, Wasserverbrauch zu achten. Alte Kühlschränke werden entsorgt und durch energieeffiziente Modelle ersetzt. Sukzessive sollen auch Bewegungsmelder installiert werden. „Aber, wie schon gesagt, jede Maßnahme muss von den Bewohnerinnen und Bewohnern bezahlt werden. Da kann man nicht viel auf einmal machen, was eigentlich aber dringend erforderlich wäre“, sagt Patricia Roßbach-Jauernik.
Weitgreifende Reformen vonnöten
Sie moniert, dass diese Fakten in der Öffentlichkeit bislang kaum bekannt sind. Vielleicht, weil sich keiner gerne mit Alter, Altenheimen und dem Tod auseinandersetzt. „Aber es trifft uns alle in unserem Leben. Wir müssen uns dem Thema stellen und das System auf andere finanzielle Füße stellen.“
Ihrer Meinung nach gehört das komplette Finanzierungssystem auf den Prüfstand. „Alles muss überarbeitet werden. Die großen Reformen waren in meinen Augen bislang nur Reförmchen und nicht geeignet, das System tragfähig und zukunftsfähig zu machen.“
Die Einrichtungen bräuchten dringend finanzielle Mittel, um auch in alten Gebäuden Klimaschutzmaßnahmen umsetzen zu können. „Das sind große Investitionen. Wenn das auch noch die Bewohnerinnen und Bewohner komplett zu finanzieren haben, können wir über Jahre nichts anderes mehr instandhalten oder baulich anpassen, renovieren oder modernisieren.“ Geschehe nichts, drohten den Pflegeeinrichtungen in absehbarer Zeit enorme Defizite.
Bei der Mission Leben heißt es: „Eine Unterstützung auf politischer Seite zur Kostenentlastung für die Bewohnerinnen und Bewohner und deren Angehörigen halten wir für dringend notwendig.“
Lesen Sie mehr zum Thema in unserem Dossier zur Energiekrise in Deutschland
Große Sorgen macht sich auch die Diakonie Hessen: „Soziale Einrichtungen, die nach Corona bereits stark belastet sind, können durch die massiven Preissteigerungen in Liquiditätsprobleme kommen, die sie nicht aus eigenen Mittel ausgleichen können. Dies kann zu Insolvenzen führen“, heißt es in einer Mitteilung des Trägerverbandes: „Deshalb fordern wir die Umsetzung des Schutzschirms für Pflegeeinrichtungen, damit diese das Angebot aufrechterhalten können und Menschen nicht unversorgt bleiben“. Gefordert sei auch das Land Hessen, um gemeinsam mit den Einrichtungen in klimaschützende Maßnahmen zu investieren.