Der Waldzustandsbericht 2022 zeigt: Der ohnehin schon kritische Zustand hat sich noch weiter verschlechtert. Wie Umweltministerin Priska Hinz die Trendwende schaffen will.
WIESBADEN/SCHLANGENBAD. "Des Försters Herz blutet bei diesen Zahlen" - so beschreibt Stefan Nowack seine Gemütsverfassung an diesem kühlen Vormittag im Wald nahe Bärstadt im Taunus. Umweltministerin Priska Hinz (Grüne) hat in den Forst gebeten, um unter herbstlich gefärbtem Blätterdach den Waldzustandsbericht 2022 vorzustellen. Im Bärstädter Wald sehen die Buchen und Eichen noch ganz passabel aus, doch ist das inzwischen wohl eher die Ausnahme.
Gesunde Bäume sind mittlerweile die Ausnahme
Die Zahlen sind jedenfalls dramatisch: Wirklich gesunde Bäume sind heute eher die Ausnahme, fast jeder zehnte Baum (9 Prozent) gilt als stark geschädigt, vor den Dürrejahren 2018 bis 2020 waren es nur drei Prozent. Stark geschädigt bedeutet: Die Krone ist derart ausgedünnt, dass sie den Boden nicht mehr vor der Sonne schützt, die Sauerstoffproduktion stark zurückgeht - und letztlich das Absterben des Baumes droht. "In den Jahren 2019 bis 2022 ist eine sehr starke Schädigung der hessischen Wälder eingetreten", heißt es im Bericht.
"Die Klimakrise verändert den Wald, wie wir ihn kennen, in unfassbar schnellem Tempo", sagt Hinz. Es gehe darum, ihn "klimastabil zu machen". Trotz aller Bemühungen - 2023/24 stehen 155 Millionen Euro für Wiederbewaldung und Waldumbau zur Verfügung, davon 72 Millionen für private Waldbesitzer - will die Stabilisierung bisher nicht gelingen. So ist die mittlere Kronenverlichtung bei Buche, Eiche, Fichte und Kiefer von 26 auf 28 Prozent gewachsen - ein extrem hoher Wert. Bei älteren Fichten liegt er bei 47 Prozent. Das Ausmaß des "Waldsterbens 2.0" ist damit viel größer als das des ersten Waldsterbens in den achtziger Jahren.
Zu wenig Regen und das seit Jahren
Woran der Wald leidet, ist offensichtlich: Seit vielen Jahren falle zu wenig Regen, erklärt Ulrike Talkner, Mitautorin des Berichts; der Sommer 2022 war in Hessen der trockenste seit Beginn der Aufzeichnungen 1881. Der Trockenstress führt in Kombination mit den höheren Temperaturen zu vermehrtem Schädlingsbefall, große Verluste aufgrund von Stürmen kommen dazu; auch hat es in diesem Jahr extrem viel gebrannt.
Wo Trockenheit, Sturm und Schädlinge Lücken geschlagen haben, muss etwas passieren. Große Kahlflächen - meist abgestorbene Fichtenkulturen - könne man nicht sich selbst überlassen, betont Hinz. Ohne Bewuchs verliere der Boden Nährstoffe, Nitrate lösten sich und belasteten dann das Grundwasser.
Deshalb würden die Flächen wieder bepflanzt, dann allerdings als Mischwald, wobei verstärkt auch Arten wie Elsbeere, Esskastanie, Walnuss und Speierling zum Zuge kämen. Auf rund der Hälfte der geschädigten Flächen setze man aber auf natürliche Verjüngung, ergänzt Forstmann Nowack, und zwei bis drei Prozent überlasse man sich selbst. Man befinde sich "in einer Phase des massiven Waldumbaus". Dabei geht es um zehn Prozent der Waldfläche. Da auch in Zukunft mit Dürre-Sommern zu rechnen sei, kommt es laut Hinz auch darauf an, das vorhandene Wasser länger im Wald zu halten. Ab 2023 sollen deshalb verstärkt Teiche und Tümpel angelegt werden.
Am schlimmsten im Rhein-Main-Gebiet
Besonders schlimm steht es um den Wald im Rhein-Main-Gebiet. Hier liegt die mittlere Kronenverlichtung über alle Baumarten bei mehr als 40 Prozent. Dort ist es trotz großer Anstrengungen bisher nicht gelungen, den Negativtrend zu stoppen, viele Neupflanzungen sind im heißen Sommer 2022 vertrocknet.
Trotz aller Umbaumaßnahmen bleibe der Kampf gegen den Klimawandel das A und O für einen gesunden Wald, betont Hinz. Derzeit, so die Ministerin, "macht mir der Wald große Sorgen".