Vierte Welle: Kliniken bereiten Patientenverlegung vor

Menschen gehen durch den Zugang zur Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Foto: dpa

Angesichts der Corona-Neuinfektionen geht die Sorge um, dass Kliniken an ihre Grenzen stoßen. Derweil fordern zahlreiche Wissenschaftler ein Umsteuern in Corona-Politik.

Anzeige

MAINZ. Galoppierende Corona-Inzidenzen sorgen in einigen Regionen Deutschlands für Alarmstimmung. Vielerorts ist die Rede von einer "Pandemie der Ungeimpften" - heißt: dass vor allem Ungeimpfte sich anstecken und das Virus weiterverbreiten. Wie schätzen Krankenhäuser die Lage ein?

Vor allem im Süden und Osten des Landes bereiten sich Kliniken auf die Verlegung von Patienten auch in andere Bundesländer vor, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. Allerdings sind die Aufnahmemöglichkeiten anderer Länder ebenfalls begrenzt. Sachsen-Anhalt etwa kann zwar noch Kranke aus dem eigenen Land versorgen - aber: "Es sieht so aus, dass man keine Kapazität hat, Patienten aus anderen Bundesländern aufzunehmen", sagte ein Sprecher der Krankenhausgesellschaft.

Anzeige

Aus einem vertraulichen Bericht der Länder geht hervor, dass in Bayern und Baden-Württemberg bereits "täglich Verlegungen zwischen Krankenhäusern zum Ausgleich und zum Erhalt der Funktionsfähigkeit durchgeführt" werden, wie die Zeitungen der Funke Mediengruppe berichten. "Im Norden gibt es noch Kapazitäten, im Süden sind sie praktisch aufgebraucht", heißt es demnach im Bericht der länderübergreifenden Steuerungsgruppe des so genannten Kleeblattsystems zur Patientenverteilung bei regionaler Überlastung. Die 16 Bundesländer sind in bundesweit fünf Gruppen (Kleeblätter) eingeteilt, die sich zunächst gegenseitig helfen sollen. Ist ein ganzes Kleeblatt überlastet, wird deutschlandweit verteilt.

"Wir sehen klar, dass die Impfungen wirken", heißt es von Seiten der Universitätsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Die Sterblichkeit von Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen sei im Vergleich zu den ersten beiden Wellen zurückgegangen. "Wir sehen aber auch Durchbrüche bei Geimpften, diese weisen jedoch meist ein hohes Alter oder eine Vorerkrankung auf. Gerade deshalb sind Booster-Impfungen insbesondere für diese Gruppen zu begrüßen."

Jeder neue Patient und jede neue Patientin stelle für die Klinik eine Herausforderung dar. Der Anstieg der bundesweiten Infektionszahlen zeige, dass die Pandemie noch nicht vorbei sei. "Es bleibt wichtig, die Schutzmaßnahmen weiter anzuwenden und Rücksicht zu nehmen auf die Menschen und auf unser Gesundheitssystem."

Kerstin Macher, Pressesprecherin vom Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein in Koblenz sagt, die Zahl der Corona-Infektionen sei bei Ungeimpften höher und die Verläufe deutlich schwerer. "Dennoch muss festgestellt werden, dass das Risiko einer Infektion auch nach einer Impfung gegeben ist." Von einer "Pandemie der Ungeimpften" wolle sie daher nicht uneingeschränkt sprechen. Auch in Koblenz stiegen wieder die Covid-Fälle an. "Und eben auch die, welche aufgrund der Infektion in eine stationäre Behandlung überführt werden müssen."

Anzeige

35 Wissenschaftler fordern Umsteuern in Corona-Politik

Aktuell sei die Covid-Lage am Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein zu beherrschen, und die Fallzahl liege unter den "Hochphasen" im Jahr 2020, erklärt Macher. Und mit Blick auf Pläne der Politik sagt sie: "Bei konsequenter Umsetzung der gebotenen Vorsichts- und Vorkehrungsmaßnahmen, wozu auch ganz klar die Testpflicht und die Impfungen gehören, kann ein Ende der epidemischen Lage durchaus umsetzbar sein."

35 führende Mediziner und andere Fachleute aus ganz Deutschland haben die Regierungen von Bund und Ländern zu einem Umsteuern in der Corona-Politik aufgefordert. Statt mit "passivem Abwarten" die Verantwortung für ein Brechen der vierten Welle zunehmend "in den Ermessensspielraum jedes einzelnen Menschen zu verlagern", müsse die Politik endlich "ihrer Verantwortung umfassend gerecht werden", schreiben die Forscher und Forscherinnen in einem dreiseitigen Aufruf, den der "Kölner Stadt-Anzeiger" und das "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (Samstagausgaben) veröffentlichten.

"Jeder Tag des Abwartens kostet Menschenleben", heißt es in dem Text unter Federführung des Kölner Internisten Michael Hallek und der Braunschweiger Virologin Melanie Brinkmann. «Wir empfinden eine tiefe Enttäuschung über die Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und über den wiederholt nachlässigen Umgang mit dem Wohlergehen der Menschen, die auf den Schutz des Staates angewiesen sind.» Die Forscher fordern die Einrichtung eines nationalen Krisenstabs mit Fachleuten aus Virologie, Medizin und Öffentlicher Gesundheit, aber auch Praktikern mit Leitungserfahrung, etwa aus Kliniken oder Unternehmen.

Von dpa