U-Ausschuss: Reporter belastet Innenminister Lewentz

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Innenminister Roger Lewentz (beide SPD) sprechen in Schuld mit einem Anwohner. Die Gemeinde im Kreis Ahrweiler wurde von dem Unwetter stark in Mitleidenschaft gezogen.  Foto: Thomas Frey/dpa

Ein Journalist hat offenbar in den Anfangsstunden der Ahrflut mit dem rheinland-pfälzischen Innenminister telefoniert. Seine Aussagen beißen sich mit bisherigen Erkenntnissen.

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MAINZ. Die Fragezeichen hinter dem Verhalten des rheinland-pfälzischen Innenministers Roger Lewentz (SPD) in der verheerenden Nacht der Ahr-Flut werden wieder größer. Am Freitag hat vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages in Mainz, der seit Monaten die Geschehnisse rund um die Katastrophe im Juli 2021 aufarbeitet, ein Journalist des Regionalsenders Mittelrhein TV ausgesagt, der Reporter Willi Willig. Willigs Aussagen haben das Potenzial, Innenminister Lewentz zu belasten.

Der Reihe nach: Willig war am Abend des Unglücks mit dem Auto auf dem Weg zur Ahr, Videos für seinen Sender drehen, als er auf der Gegenfahrbahn Innenminister Lewentz im Auto entdeckte. Lewentz war gerade auf dem Rückweg von der Technischen Einsatzleitung (TEL) im Kreis Ahrweiler, wo er sich ein Bild der Hochwasserlage verschaffen wollte. Weil Willi Willig die Nummer des Innenministers hatte, rief er ihn umgehend an – gegen 19.45 Uhr.

Wie lief das Telefonat?

Über die Inhalte des Telefonats sagte Willig im U-Ausschuss aus, dass Lewentz ihn informiert habe, dass die Lage am Oberlauf der Ahr bereits „katastrophal und schlimm“ sei. Konkret habe er die Dörfer Dorsel und Schuld genannt. Weiter soll Lewentz ihm mitgeteilt haben, dass in Schuld bereits ein Haus eingestürzt sei.

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Diese Aussagen stehen im krassen Kontrast mit den bisherigen Aussagen von Lewentz über sein Wissen in der Flutnacht. Bislang hatte Lewentz stets ausgesagt, dass sich seiner Meinung nach die Mitarbeiter in der TEL auf ein großes Hochwasser vorbereitet haben, nicht aber auf eine „Sturzflut“. Dennoch bezeichnete er gegenüber die Willig laut dessen Aussage die Lage frühzeitig als „katastrophal“.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Uhrzeit. Um 19.45 Uhr soll Lewentz demnach bereits bewusst gewesen sein, dass in Schuld ein Haus eingestürzt ist. Aus den Beweisakten des U-Ausschusses geht hervor, dass Lewentz ab 21.36 Uhr einen Chat mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) gehabt hat. In dieser Kommunikation ging Dreyer davon aus, dass der Höchststand des Hochwassers fälschlicherweise erst am Folgetag erreicht werde. Zudem fragte sie, ob Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) bereits über das Hochwasser informiert sei. Antwort Lewentz: „Das weiß ich gar nicht, sie hat ein eigenes Lagesystem. Wenn wir genaueres wissen, informieren wir sie morgen über unsere Erkenntnisse.“ Von einer „katastrophalen“ oder „schlimmen“ Lage kein Wort. Auch keine Information über ein eingestürztes Haus in Schuld.

Der nächste Kontakt zwischen Lewentz und Dreyer fand dann erst wieder um 0.58 Uhr statt. Lewentz schrieb: „Liebe Malu, die Lage eskaliert. In [...] Schuld [...] sind wohl 6 Häuser eingestürzt. Weitere Einstürze drohen. Es kann Tote geben/gegeben haben.“ Rund fünf Stunden nach dem Telefonat mit Willig.

Wieso wurde die Landesspitze so spät informiert?

Nach wie vor ist die Frage offen, wieso die Spitze der Landesregierung viel zu spät über das Ausmaß der Katastrophe informiert wurde. Am Freitag sagte eine Polizistin des Polizeipräsidiums Koblenz aus, dass ihr am Fluttag bei Dienstbeginn um 22 Uhr unmittelbar klar wurde, dass es sich bei den Ereignissen am Abend um eine Flutkatastrophe handle. Gegen 22.30 Uhr schickte sie deshalb eine Hubschrauberaufnahme des offensichtlich lebensbedrohlich überfluteten Dorfes Schuld an das Lagezentrum des Innenministeriums in Mainz. Zudem gab sie die Auskunft weiter, dass in Schuld sechs Häuser eingestürzt seien, dass es Vermisste gebe, einen ertrunkenen Menschen und dass die Integrierte Leitstelle Koblenz mit Notrufen überlaufe.

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Zudem ist protokolliert, dass zuvor bereits, um 22.24 Uhr, Erwin Manz (Grüne), Staatssekretär im Umweltministerium, im Lagezentrum angerufen hatte. Manz informierte laut seiner Aussage bei diesem Anruf das Innenministerium, dass er aufgrund der aktuellen Pegelprognosen an das Lagezentrum appelliert hatte, umgehend alle Kräfte an die Ahr zu mobilisieren. Es gebe Menschen, die gerettet werden müssen.

Folglich muss spätestens nach diesen zwei Telefonaten dem Innenministerium bewusst gewesen sein, dass sich eine außergewöhnliche Katastrophe an der Ahr ereignet hatte.

Laut Heiko Arnd, Leiter des Lagezentrums, sei nach diesen Auskünften gegen 23 Uhr das Ministerialbüro von Innenminister Lewentz über die dramatischen Entwicklungen in Kenntnis gesetzt worden. Trotzdem habe sich der Minister erst gegen 0.45 Uhr im Lagezentrum zurückgemeldet. Fast zwei Stunden, nachdem diese Information das Lagezentrum erreichte. Arnd sagte aus: „Minister Lewentz war bei diesem Anruf über die Situation in Schuld bereits unterrichtet.“ In diesem Gespräch habe er dem Innenminister dann mitgeteilt, dass das Lagezentrum ein erhebliches Informationsdefizit aufweise, was wirklich an der Ahr geschehe. Obwohl die Katastrophe schon lange im Innenministerium hätte bekannt gewesen sein müssen.