"Pulse of Europe" sucht neue Aktionsformen und schickt Liste mit Fragen an Politiker
Von Regine Herrmann
Reporter Rhein-Main/Südhessen
Die positive Botschaft steht bei den Pulse-of-Europe-Kundgebungen im Vordergrund. Archivfoto: dpa
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FRANKFURT - Deutsche Politiker bekommen in diesen Tagen Post von Pulse of Europe. Die pro-europäische Bewegung stellt den Bundesvorsitzenden der Parteien, den Fraktionschefs im Bundestag und anderen Politikern in einem offenen Brief einige Fragen, zu beantworten bitte bis 22. Juni auf maximal sechs Seiten.
Die Aktivisten wollen zum Beispiel wissen, wo die Parteien die größten Herausforderungen für Europa sehen, was sie zu tun gedenken, wie sie dem von vielen Bürgern empfundenen Demokratiedefizit entgegenwirken wollen.
Die Bewegung versucht mit dem Brief, neue Aktionsformen zu finden, wie Sprecherin Stephanie Hartung sagt. Sie gehört zum Kreis derer, die in Frankfurt die Bewegung angestoßen haben, unter dem Eindruck des Brexit und des Wahlsieges von Donald Trump. "Frankfurt ist eine Art Schaltstelle", erklärt Hartung. "Bei uns laufen die Fäden zusammen." Bisher ist Pulse of Europe ein Erfolgsmodell: Inzwischen bringen Zehntausende Menschen in 130 Städten und 19 Ländern bei Kundgebungen die Botschaft auf Straßen und Plätze: Die Europäische Union muss erhalten werden.
IMMER SONNTAGS
Pulse of Europe, inzwischen ein gemeinnütziger Verein, ist Ende 2016 in Frankfurt entstanden. Kundgebungen gibt es inzwischen auch in vielen Städten der Region, immer am ersten Sonntag im Monat um 14 Uhr, in Frankfurt auf dem Goetheplatz, in Mainz auf dem Gutenbergplatz, in Wiesbaden auf dem Dernschen Gelände und in Darmstadt auf dem Karolinenplatz.
Vor Kurzem haben die Initiatoren den Rhythmus von wöchentlich auf monatlich geändert. Jede Woche präsent zu sein, überfordert sowohl Macher als auch Bürger. Und es nutzt sich ab. Also stellt sich die Frage: Wie geht es weiter?
"Wir haben den Wunsch, in eine andere inhaltliche Qualität überzugehen", sagt Hartung. Der erste Schritt dazu - auch mit Blick auf die Bundestagswahl - ist der Offene Brief. Pulse hat gesammelt und ausgewertet, welche Themen seinen Anhängern wichtig sind, welche Fragen sie haben. Die Antworten der Politiker sollen die Grundlage für einen "aktiven Meinungsaustausch zwischen Bürgern und Politikern" hinaus sein". Dazu will man Politiker zu Diskussionen einladen.
Die Pulse-of-Europe-Initiatoren, darunter etliche Mediatoren, sehen sich dabei als Mittler, als diejenigen, die Fragen und Anregungen von Bürgern an Politiker weitergeben. Das ist auch das Prinzip der sonntäglichen Versammlungen, die weniger traditionelle Kundgebungen sind als eine Art moderierte Speakers Corner.
Michèle Knodt, Politikwissenschaftlerin an der TU Darmstadt, ist skeptisch, was den Dialog mit Politikern betrifft. "Nach zwei, drei Veranstaltungen wird das nicht mehr funktionieren", sagt sie. Jedenfalls nicht, wenn Pulse of Europe nicht konkreter werde als bisher. "Auch ein Moderator muss die Diskussion ja irgendwohin lenken."
Ein detailliertes Programm sei momentan gar nicht nötig, meint Knodt: "Aber große programmatische Linien wären gut." Bisher gibt es einen Minimalkonsens, zu dem die Forderung nach Reform der Europäischen Union gehört. Aber wie die aussehen könnte, wie die Richtung ist, bleibt vage.
Aus gutem Grund. Das Konkretisieren berge die Gefahr, dass die sehr heterogene Gruppe auseinanderbreche, sagt die Wissenschaftlerin. Ein Dilemma für die junge Bewegung: "Die haben es richtig schwer." Ohnehin sei es für Bewegungen, die gegen etwas sind - zum Beispiel Atomkraft - viel leichter, sich zu organisieren: "Da hat man etwas Konkretes, worüber man sich einig ist." 9"Wir fühlen uns gut mit dem, was wir sind", sagt Pulse-Sprecherin Hartung. Das bedeutet: eine unabhängige überparteiliche Bürgerbewegung, die dafür sorgt dass Europa wieder auf die Agenda der Parteien kommt. "Aber wir selbst werden keine Partei." Und Wahlkampf auf Pulse-Bühnen werde es bestimmt nicht geben.
Man strebe auch nicht an, eine Nichtregierungsorganisation wie Greenpeace oder Attac zu werden, versichert Hartung. Dann müsse über Satzungen oder die Besetzung von Posten diskutiert werden: "Aber wir wollen das Maß an Organisation nach innen begrenzen. Und wir sind viel schlagkräftiger und flexibler, wenn wir die pro-europäischen Aktivisten bleiben, als die wir losgestürmt sind."