Lautes Geklingel schallt über den Platz vor der Alten Oper in Frankfurt. Auf Rennrädern, Mountainbikes, Liegerädern und ganz normalen City-Drahteseln kreisen geschätzte 150...
FRANKFURT/DARMSTADT/KASSEL. Lautes Geklingel schallt über den Platz vor der Alten Oper in Frankfurt. Auf Rennrädern, Mountainbikes, Liegerädern und ganz normalen City-Drahteseln kreisen geschätzte 150 Fahrradfahrer um den großen Brunnen und scheren dann aus in Richtung Straße. Die "Critical Mass" ("kritische Masse") ist in Hessens größter Stadt unterwegs. Das Ziel: für einen Platz als ebenbürtige Verkehrsteilnehmer zu demonstrieren. Rad-Demo, Radentscheid und Aktionen gegen das Parken auf Radwegen - landesweit formieren sich Radfahrer und fordern in verstopften Innenstädten mehr Rechte ein.
"Die Radfahrer erobern immer stärker die Städte für sich", sagt der Frankfurter Trend- und Zukunftsforscher Andreas Steinle. "Nach Jahrzehnten der Autofixiertheit wird das Rad zum Ausdruck eines neuen Lifestyles, der für Sportlichkeit, Gesundheit und ökologisches Bewusstsein steht." Zudem sei das Rad in den verstopften Ballungsräumen immer häufiger auch das schnellere Fortbewegungsmittel, sagt der Forscher der Zukunftsinstitut Workshop GmbH. "Je mehr sich das Rad als überlegenes Fortbewegungsmittel und Statussymbol herausstellt, desto stärker formieren sich auch die Radfahrer als eine gesellschaftliche Bewegung."
Angesichts der schlechten Luft in den Städten - Feinstaub und Stickoxide - stießen die Radfahrer auch auf offene Ohren in der Politik. Für viele Städte sei Kopenhagen bereits das Vorbild, wo es inzwischen mehr Fahrräder als Einwohner gebe und so auch die Hälfte des Berufsverkehrs zurückgelegt werde, berichtet Steinle.
Bei der "Critical Mass" in Frankfurt postieren sich erfahrene Teilnehmer mit ihren Fahrrädern an den Ampeln vor die wartende Autoschlange. "Korken" heißt das. Hintergrund ist ein Passus im Verkehrsrecht, wonach mindestens 16 Fahrräder einen geschlossenen Verband bilden können. Ist diese kritische Masse erreicht, dürfen sie nebeneinander auf der Straße fahren und Autos und Lastwagen ausbremsen, bis ihr Demonstrationszug vorbeigerollt ist.
Wolfgang Hepp hat mit seinem Liegerad seit Jahren kaum eine der Zusammenkünfte verpasst, die es weltweit gibt, auch in anderen hessischen Städten. Es gehe darum zu zeigen, "dass wir Fahrradfahrer auch da sind, dass wir auch Verkehrsteilnehmer sind und Platz brauchen", sagt der 60-Jährige. Der Radverkehr sei stark gestiegen, der Ausbau der Radwege aber nicht.
Um Fahrrädern mehr Raum zu geben und das Radeln sicherer zu machen, schließen sich in vielen Großstädten Menschen zusammen und fordern die Politik zum Handeln auf - oft unabhängig vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), von Radbeauftragten und Radbüros. "Früher haben sich vor allem die Radfahrer für Radfahrer engagiert. Jetzt sind es auch Leute, die den Radverkehr als Mittel zum Zweck für mehr Lebensqualität verbessern wollen", sagt Katja Täubert vom Verkehrsverband VCD.
Vorreiter in Hessen ist Darmstadt: Die Initiatoren übergaben ihrem grünen Oberbürgermeister Jochen Partsch Anfang Mai fast 11.300 Unterschriften zu sieben konkreten Forderungen. Das waren mehr als drei Mal so viele Unterschriften wie für ein Bürgerbegehren notwendig gewesen wären. Nun liegt der Ball im Rathaus. In der südhessischen Stadt gibt es auch regelmäßig Mahnwachen, wenn ein Radfahrer im Verkehr ums Leben gekommen ist.
In Frankfurt läuft die Unterschriftensammlung beim Radentscheid auf Hochtouren. Die Initiative will das Radfahren zum Massenphänomen machen. "Es geht so nicht weiter, wir bekommen die Klimaziele, die Lärmproblematik und die Schadstoffemissionen nicht in den Griff, wenn sich nichts ändert", sagt Alexander Breit von den Organisatoren. Mehr und breitere Radwege sowie mehr Abstellplätze für Fahrräder seien geeignete Maßnahmen.
Rund 15.000 Unterschriften brauchen die Organisatoren zunächst, damit sich die Stadtpolitik mit den insgesamt sieben Forderungen beschäftigen muss. Nächste Stufe wäre dann ein Bürgerentscheid, über den nach dem Willen der Organisatoren auch in Darmstadt zusammen mit der Landtagswahl am 28. Oktober abgestimmt werden könnte. Das Frankfurter Verkehrsdezernat erklärt nach einem Gespräch mit den Initiatoren, man stehe der Aktion beobachtend gegenüber.
Mit ungewöhnlichen Aktionen macht auch der ADFC in Frankfurt auf sich aufmerksam: Mitglieder stellten kurzerhand Plastikhütchen auf einen Radweg an der Obermainanlage, um ihn von parkenden Autos frei zu halten. Ziel sei, den Kommunen zu zeigen: Radwege müssten besser geschützt werden, mit ganz einfachen Plastikmarkierungen sei dies möglich.
"Wir hoffen, dass das auch an anderen Orten Schule machen wird", sagt Norbert Sanden vom ADFC Hessen. "Es fahren mehr Menschen Fahrrad, gleichzeitig gibt es mehr Autos und die werden auch noch größer. Als Radfahrer muss man sich lauter und deutlicher positionieren, sonst bleibt man an den Rand gedrängt", sagt Sanden.
In Kassel will eine Gruppe mit 30 Aktiven einen Radentscheid herbeiführen. "Immer noch sind Radwege zu schmal, hören einfach auf, sind zugeparkt oder nicht immer gut gekennzeichnet", erklärt die Initiative. Sie sammelt nun Geld und will ihre Forderungen bis Mitte Juni ausformulieren. Nach einer rechtlichen Prüfung soll es dann ab Sommer auch im Norden Hessens eine Unterschriftensammlung zugunsten des Radverkehrs geben.
Von dpa