Frankfurter Buchmesse ist eröffnet

Das diesjährige Gastland Spanien stellt in seinem Ehrengast-Pavillon die menschliche Kreativität in den Mittelpunkt – auch anhand von digitalen Installationen, mit denen die Besucherinnen und Besucher interagieren können.        Foto: dpa
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Die Branche betont zur Eröffnung der 74. Frankfurter Buchmesse ihre gesellschaftliche Verantwortung – und fordert angesichts von Inflation und Energiekrise Hilfe von der Politik.

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FRANKFURT. Die Stärkung gesellschaftlichen Zusammenhalts, gerade auch in Krisenzeiten, und ein Miteinander in Vielfalt – das könnte so etwas wie das inoffizielle Motto der 74. Frankfurter Buchmesse werden, die am Dienstagabend vom spanischen Königspaar Felipe VI. und Letizia gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnet wurde. Zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Pandemie findet die Messe von diesem Mittwoch an wieder unter praktisch normalen Bedingungen statt – und in annähernd vorpandemischer Größe, inklusive der Teilnahme großer Verlage aus Amerika und Asien, woran im Vorjahr noch nicht zu denken war.

„Die Buchmesse ist in vollem Umfang als Präsenzmesse zurück“, betont Buchmesse-Direktor Juergen Boos denn auch am Dienstag bei der Eröffnungspressekonferenz – und biete damit auch einen Diskursraum, der angesichts des Kriegs in der Ukraine, aber auch der vielen weiteren Krisenherde in der Welt, immer wichtiger werde. Die persönliche Begegnung sei ein Mittel gegen Polarisierung: „Das Einzige, was wir einer vergifteten Debattenkultur entgegenhalten können ist der demokratische Dialog, und dass wir Diversität eine Bühne geben“, so Boos.

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Börsenverein sieht Lage der Branche als sehr schwierig

Die Messe verstehe sich dabei als „Gegenentwurf zur Echokammer“ – und will den Dialog unter anderem mit einem selbst kuratierten Debattenprogramm im erstmals seit 2019 wieder aufgebauten „Frankfurt Pavilion“, der zeltartigen Holzkonstrunktion auf der Agora, befördern. Geplant sind Veranstaltungen zum Ukraine-Krieg, aber auch zur Lage im Iran oder der Klimakrise. Gleichzeitig gibt die Messe ukrainischen Verlagen und Autoren die Gelegenheit, sich in Halle 4 mit einem fast 100 Quadratmeter großen gemeinsamen Länderstand zu präsentieren, lässt aber auch russische Oppositionelle zu Wort kommen. Für Donnerstag ist zudem die Video-Liveübertragung einer Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geplant.

„Die Buchmesse war schon immer mehr als der weltweit größte Marktplatz für Bücher und Geschichten“, betont auch Karin Schmidt-Friderichs, Verlegerin des Mainzer Verlags Herrmann Schmidt und seit drei Jahren Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Sie stehe, wie auch die gesamte Buchbranche an sich, für „einen Ort des Miteinanders, der Verständigung, der Verantwortung für die Gesellschaft und für Bildung“. Bücher brächten „eine Denktiefe in die Gesellschaft hinein, die ihr zwischen Clickbait und Shitstorms verloren zu gehen droht“.

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Eine gesellschaftliche Verantwortung, zu der die Buchbranche mit Überzeugung stehe – der sie aber nur nachkommen könne, wenn sie selbst wirtschaftlich auskömmlich aufgestellt ist. Genau das sieht Schmidt-Friderichs aufgrund dramatisch gestiegener Papierpreise und angesichts von Inflation und Energiekrise in Gefahr. Dazu kommen die für 2022 bisher enttäuschenden Zahlen: Der Umsatz liege bisher rund zwei Prozent unter jenem eines vorpandemischen Normaljahrs, betrachtet man nur Vor-Ort-Buchhandlungen sogar um rund 8,3 Prozent.

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Die Buchbranche habe sich in den vergangenen Jahren angesichts von Pandemie und Lockdowns als sehr widerstandsfähig erweisen – aber jetzt brauche es infolge der instabilen Welt- und Marktlage ausgleichende Maßnahmen durch die Politik, so Schmidt-Friderichs, damit die Branche ihrer gesellschaftlichen Rolle weiterhin nachkommen könne. Sie fordert unter anderem, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verlagsförderung schnell umzusetzen, über eine Streichung der Mehrwertsteuer auf Bücher nachzudenken und „wirtschaftliche Entlastungspakete so zu gestalten, dass auch kleine und mittlere Verlage und Buchhandlungen darauf zugreifen können“.

Gastland Spanien setzt auf „Sprühende Kreativität“

Zusammenhalt, Kooperation sowie die besondere Rolle, die dem Medium Buch hierbei zukommt, sind schließlich auch die großen Themen in der Rede, die der pakistanisch-britische Autor Mohsin Hamid („The Last White Man“) zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse hält. Er beschreibt darin den Prozess einer langsamen Desillusionierung, bei dem er im Laufe der Jahrzehnte seinen festen Glauben an eine positive Zukunft verlor. Daran, dass „Demokratie, Wissenschaft und Marktwirtschaft“ helfen werden, die Welt zum Besseren zu wandeln, an die „Unausweichlichkeit der Zusammenarbeit“.

Genau dieses Prinzip der Kooperation sei seit einigen Jahren auf dem Rückzug, die Welt zerfalle in Nationen und Stammesgemeinschaften, trotz der drängenden Krisen, die nur zusammen bewältigt werden könnten. Umso wichtiger sei es, sich mit Büchern dem Trend entgegenzustellen – nicht nur wegen ihres Inhalts, sondern auch weil jeder Akt des Lesens an sich ein hoffnungsvoller Akt der Kooperation zwischen Autor und Leser sei: Erst Leser machten durch ihre Vorstellungsgabe aus dem „halben Roman“ eines Schriftstellers einen ganzen.

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Dieser Prozess des gemeinsamen Erschaffens von Kultur steht auch im Zentrum des Auftritts, mit dem sich das diesjährige Gastland Spanien auf der Buchmesse präsentiert. „Sprühende Kreativität“ heißt das Motto, zu dem das Kuratoren-Team des Ehrengast-Pavillons mehrere vielfarbige Skulpturen, als ein Symbol für die diversen kreativen Energien, die an der Produktion eines Buchs beteiligt sind, aber auch die interaktive Videowand „Die Metapher“ kreiert hat: Das darauf zu sehende Farbenspiel reagiert auf die Worte und Geschichten, die im spanischen Pavillon während der Messe gesprochen werden, beispielsweise auf einer der zwei Veranstaltungsbühnen. Bunte Sitznudeln laden zudem als Ruhepunkt zum Stöbern in den mehr als 600 präsentierten Neuerscheinungen ein, dazu kommt die immersive Rauminstallation „Die Kirschen“, die Besucherinnen und Besucher in ein Meer aus Wörtern, Farben und literarischen Zitaten eintauchen lässt – und für sie zum willkommenen Ruhepunkt während des lebhaften Messetreibens werden könnte.

Von Johanna Dupré