Demenz - eine Krankheit trifft die ganze Familie

aus Leseraktion "Echo hilft"

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Die diesjährige "Echo hilft"-Benefizaktion widmet sich der Krankheit Demenz. Bild: Ocskay Bence stock-adobe

Die Auswirkungen einer Demenz treffen nicht nur die Patienten, auch Angehörige müssen sich auf ihren neuen Alltag einstellen. Wie kann das gelingen?

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Wie macht sich die Krankheit bemerkbar?

SÜDHESSEN. Den Schlüssel verlegen, einen Geburtstag verpassen oder partout nicht darauf kommen, wie die neue Nachbarin heißt - all das sind keine ungewöhnlichen Dinge im Alter oder bei Stress. Deshalb ist auch der Beginn einer Demenz nicht sofort erkennbar. Er ist oft harmlos und unauffällig. Auch ohne eine Demenz-Erkrankung werden Menschen mit dem Alter vergesslicher. Doch bei betroffenen Personen häufen sich diese Momente. Das Vergessen beginnt bei Demenzkranken im Jetzt, das Kurzzeitgedächtnis lässt nach.

Normalerweise kommt die Erinnerung an einen Namen oder einen verlegten Schlüssel wieder, bei Betroffenen ist das anders. "Irgendwann fällt ihnen wirklich nicht mehr ein, wohin sie die Sachen gelegt haben", sagt Carola Friemel vom DRK Kreisverband. Viele Menschen verschleiern dann ihre Krankheit mit Phrasen: "Kann doch jedem mal passieren! Das fällt mir gerade nicht ein!"

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Doch es bleibt nicht bei der Altersvergesslichkeit. Häufig suchen Erkrankte nach Worten und finden sie nicht, auch die Orientierung wird zum Problem. Betroffene werden schneller reizbar oder auch aggressiv. Hier ist noch die Rede vom frühen Stadium der Demenz. Im mittleren Stadium geht dann auch zunehmend das Langzeitgedächtnis verloren. Sprachstörungen nehmen zu, das Wesen eines Menschen und sein Verhalten können sich verändern. Der Alltag wird immer beschwerlicher, die Selbstständigkeit nimmt ab. Bei manchen Betroffenen muss das Waschen und Pflegen des Körpers übernommen werden, andere haben generell Probleme, sich zu bewegen. In einem späten Stadium kann dies bis zur Bettlägerigkeit führen. Wer im letzten Stadium angekommen ist, hört häufig auf zu sprechen. Dann sind auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft für Patienten nicht mehr klar zu trennen.

"Die Veränderungsprozesse im Verlauf der Krankheit sind natürlich sehr unterschiedlich und abhängig von der Persönlichkeit", erklärt Anja Pinkert, Beraterin beim Diakonischen Werk Odenwald. Die Einteilung der Krankheit biete daher nur einen ungefähren Überblick.

Was können Betroffene noch alleine tun?

So unterschiedlich wie die Symptome sind, so verschieden muss jede Familie selbst schauen, was für den Betroffenen noch machbar ist. "Was heute problemlos funktioniert, geht vielleicht am nächsten Tag nicht mehr", betont Brigitte Harth, Geschäftsführerin des Demenzforums in Darmstadt. Es stelle sich die Frage, wie perfekt alles sein müsse. "Ob Gabel und Messer falsch herum liegen, ist letztlich egal", sagt sie, "Lebensqualität hat auch viel mit dem Gegenüber zu tun. Wer Druck ausübt, verschärft das Problem."

Auch Carola Friemel vom DRK in Heppenheim rät davon ab, zu perfektionistisch zu sein. "Alles, was der Betroffene noch machen kann, sollte man ihn auch machen lassen. Die Fähigkeiten sollten so lange wie möglich erhalten bleiben", rät sie. So kann es beispielsweise eine Hilfe für den Betroffenen sein, wenn er ein Brötchen aufgeschnitten bekommt, es aber selbst belegen kann. Im Alltag gibt es viele Dinge, die sich praktisch gut lösen lassen. Demenzpatienten kennen alte Dinge noch gut, können mit neuen Geräten aber vielleicht nicht umgehen. Ein Kaffeefilter kann sinnvoller sein als eine Padmaschine, ein Plattenspieler lässt sich leichter bedienen als ein CD-Player.

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Wenn es möglich ist, sollten Angehörige manche Aussagen des Demenz-Erkrankten auch einfach stehen lassen und nicht immer alles richtigstellen. Beharrt der Patient an einem Mittwoch darauf, dass Sonntag ist, macht es vielleicht keinen Sinn, ihn immer wieder zu verbessern. Häufig spielt das im Alltag oder im nächsten Moment keine Rolle mehr.

Brigitte Harth rät außerdem, nicht immer wieder die Krankheit zum Thema zu machen, sondern zu überlegen, wie Angehörige und Betroffene mit der jeweiligen Situation und Entwicklung umgehen können.

Ein strukturierter Tagesablauf kann dem Erkrankten vieles erleichtern. Beispielsweise zurechtgelegte Kleidung oder vorbereitete Mahlzeiten können eine große Hilfe sein.

Schwierig wird die Unterstützung, wenn die Demenz nicht akzeptiert wird. "Die Krankheit wird oft nicht eingesehen, deshalb wird Hilfe oft abgelehnt", erklärt Adrienne Zehner, Koordinatorin der WG Waldmühle in Ober-Ramstadt.

Woher bekommen Betroffene Hilfe?

Demenz verändert nicht nur das Leben der Betroffenen, sondern auch jenes der Angehörigen. "Demenz ist eine Familienkrankheit", erklärt Brigitte Harth vom Demenzforum in Darmstadt. Deshalb bietet das Forum Beratung für alle Beteiligten an. "Wenn es möglich ist, sollte der Betroffene bei der Beratung dabei sein und nicht übergangen werden", sagt sie.

Für Erkrankte gibt es verschiedene Tagesgruppen, Wohnangebote oder Pflegedienste. Bei der Alzheimer- und Demenzkranken Gesellschaft in Rüsselsheim werden auch Wandergruppen oder ein Tanzcafé für Demenzkranke angeboten. In einer anderen Gruppe versuchen die Mitarbeiter, mit Wortspielen oder mit älterer Musik die Teilnehmer zu aktivieren. Durch bekannte Spiele soll die Motorik angeregt werden. "Dies hilft, die körperlichen Fähigkeiten des Alltags und die Eigenständigkeit so lang wie möglich zu erhalten", heißt es von Seiten der Alzheimer- und Demenzkranken Gesellschaft.

Je nach Bedarf kann ein Pflegegrad bei der Krankenkasse beantragt werden. Bei einem stark fortgeschrittenen Stadium müssen die Angehörigen schauen, ob eine angemessene Hilfe und Pflege zuhause noch möglich ist. Brigitte Harth rät deshalb, den eigenen Eltern oder seinem Partner nie zu versprechen, dass er nicht ins Pflegeheim muss. "Man muss auch schauen, ob man das Zusammenleben auch noch schafft und will", sagt sie.

Angehörige müssen lernen, ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle wahrzunehmen und zuzulassen. Es gibt spezielle Angebote wie Gesprächskreise, in denen ein Austausch mit Menschen in einer ähnlichen Lebenssituation geführt werden kann. "Es ist schwer, einen Menschen neben sich zu haben, der sich stark verändert und mich vielleicht nach 50 Jahren Ehe nicht mehr erkennt", sagt Carola Friemel, DRK Heppenheim.

In Hessen gibt es im Internet einen "Demenz Atlas" (www.demenzatlas-hessen.de) mit Adressen und Ansprechpartnern, auch der Hausarzt kann bei der Suche nach Angeboten behilflich sein. Auch in unserer nächsten Samstagsausgabe gibt es eine weitere Sonderseite zu unserer diesjährigen "Echo hilft"-Aktion, dort gibt es praktische Tipps, Ansprechpartner und eine Angebotsübersicht.

Wie sinnvoll ist eine Diagnose?

Nicht jeder, der Symptome für eine Demenzerkrankung zeigt, möchte diese wahrhaben oder deshalb zum Arzt gehen. Wenn der Verdacht besteht, können Angehörige auch bei einem ohnehin anstehenden Arztbesuch ihre Beobachtungen ansprechen.

Am Ende bietet eine Diagnose häufig neue Möglichkeiten und kann auch Erleichterung mit sich bringen - für den Erkrankten, aber auch für die Angehörigen. So können auch zwischenmenschliche Beziehungen entlastet werden. Der Patient kommt nicht mehr in Bedrängnis, weil er etwas nicht weiß. Es ist in Ordnung, wenn er etwas vergisst. Das vermeintlich seltsame Verhalten hat einen Grund, es lässt sich einordnen.

Doch der Weg zur Diagnose kann sehr lang sein. "Dass oft viel Zeit vergeht zwischen den ersten Anzeichen und einer Diagnose, liegt daran, dass die Menschen es meistens nicht wahrhaben wollen", erklärt Anja Pinkert, vom Diakonischen Werk Odenwald.

Beim Gespräch mit dem Arzt kann auch über eine medikamentöse Behandlung in Form von Antidementiva gesprochen werden. Diese Medikamente sollen Gedächtnisfunktionen verbessern, sie können die Krankheit verzögern, jedoch nicht aufhalten. Hinzu kommt, dass nicht jeder Patient die Medikamente gut verträgt.

Eine Diagnose kann bei der Einstufung eines Pflegegrads helfen, ist aber nicht nötig. Leistungen der Pflegeversicherung können auch ohne eine ärztliche Diagnose beantragt werden. Gerade bei Patienten in einem späten Stadium sind die Beeinträchtigungen des Alltags so schwerwiegend, dass sie auch ohne eine Demenz-Diagnose, nicht mehr zu verstecken sind.