Die Krankheit ist immer noch nicht heilbar. Die Versorgung vor Ort spielt eine wichtige Rolle - aber gerade da gibt es Defizite, sagen Experten aus Mainz und Darmstadt.
Von Sabine Schiner
Lokalredakteurin Darmstadt
Zumindest langfristig gibt es Hoffnung, was die Prävention von Demenzerkrankungen angeht.
(Foto: guukaa - stock.adobe)
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DARMSTADT/MAINZ - Ein Heilmittel gegen Alzheimer gibt es nicht – und wird es wohl auch so schnell nicht geben. Umso wichtiger ist, dass die Versorgung von Menschen mit Demenz vor Ort verbessert wird – durch eine stärkere Vernetzung von Angeboten und durch den Einsatz von qualifizierten Fallmanagern, die den Betroffenen und ihren Familien zur Seite stehen.
„Es ist unseriös, wenn man Betroffenen und ihren Angehörigen Hoffnung macht, dass es bald ein Medikament gibt, das die Erkrankung rückgängig macht“, sagt Professor Andreas Fellgiebel. Als Leiter der Forschungssektion Altern und Neurodegeneration an der Mainzer Uniklinik hat er den Stand der Forschung im Blick.
Effektivität der Medikamente ist eher gering
„Es gibt eine ganze Reihe von Erkrankungsmechanismen bei Alzheimer-Patienten, die wir mittlerweile gut kennen und die man durch Substanzen auch positiv verändern kann. Da sind auch noch einige in der Pipeline“, sagt Fellgiebel, der seit einem Jahr auch Chefarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Darmstädter Elisabethenstift ist. Er verweist auf einen Impfstoff des US-Konzerns Biogen, der darauf setzt, die Erkrankungsmechanismen positiv zu verändern. Bislang ist jedoch die Effektivität der Medikamente gegen Alzheimer eher gering. Er vergleicht den Ausbruch der Erkrankung mit einem Naturereignis: „Wenn die Lawine einmal losgetreten ist, kriegen wir das nicht mehr umgedreht.“
Demenz bei Tieren
Auch Haustiere werden heute immer älter. Damit steigt das Risiko einer Demenz. Betroffene Tiere zeigen ein verändertes Verhalten: Hunde erkennen vertraute Personen nicht mehr, Katzen maunzen mitten in der Nacht ohne erkennbare Gründe. Nach Angaben des Bundesverbandes für Tiergesundheit sind 68 Prozent der Hunde im Alter von mehr als 15 Jahren betroffen. Erkrankte Tiere wirken häufig orientierungslos, leiden an Schlafstörungen, manche sind ängstlich oder aggressiv, sind nicht mehr stubenrein oder wollen nicht mehr kuscheln.
Bei Alzheimer sterben im Gehirn nach und nach die Nervenzellen ab.
(Grafik: VRM/ap)
Immerhin: Zumindest langfristig gibt es Hoffnung, was die Prävention von Demenzerkrankungen angeht. Dabei machen sich Forscher zunutze, dass sich bereits zehn bis 15 Jahre bevor die ersten Symptome auftreten, Plaques im Gehirn von Alzheimerpatienten ablagern. „Wenn man diese Amyloid-Plaques frühzeitig bekämpfen würde, könnte es sein, dass man das Schicksal einer Alzheimer Demenzentwicklung vermeiden kann“, so Fellgiebel. Derzeit sind diese Plaques jedoch nur mit speziellen Aufnahmen („Amyloid-PET“) zu entdecken.
Alles zu "Echo hilft", der diesjährigen Benefizaktion für Demenzpatienten und ihre Angehörige, finden Sie in unserem Dossier.
Für flächendeckende Screenings oder Reihenuntersuchungen kommt dieses Verfahren allein aus Kostengründen nicht in Frage. Nun ist es Wissenschaftlern aber gelungen, die Proteine im Blut nachzuweisen. Es ist also durchaus vorstellbar, dass in einigen Jahren Check-ups zur Alzheimer-Prävention angeboten werden. Gut möglich, dass es dann auch eine Immunisierung gibt, die das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit zumindest verlangsamt.
Mehr Forschungsprojekte, die sich mit Demenz beschäftigen – und deren Erkenntnisse schnell und wirksam den Betroffenen zugutekommen – das ist auch ein Ziel der Nationalen Demenzstrategie, die im September auf Bundesebene beschlossen worden ist. Angesichts der Zahl von 1,6 Millionen Menschen, die bundesweit an Demenz erkrankt sind, wurden 160 Maßnahmen vereinbart. Dazu zählen der Ausbau von regionalen Netzen und ein besseres Schnittstellenmanagement. Denn: Es hapert in der ambulanten Versorgung von Demenzkranken.
Vernetzung von verschiedenen Bereichen notwendig
„Es gibt einige strukturelle Mängel“, sagt Fellgiebel, der an der Uni Mainz mehrere Projekte betreut, die sich mit der Versorgung vor Ort beschäftigen. Er ist davon überzeugt, dass zur Verbesserung der Versorgung die regionale Vernetzung von Akteuren aus Bereichen wie Selbsthilfe, Ehrenamt, Medizin, Beratung, Pflege und Kommune notwendig ist. Er schlägt zudem vor, Hausärzte als Lotsen einzusetzen, bei denen die Fäden zusammenlaufen und Fall-Manager, die sich individuell und nach Bedarf um Patienten und Angehörige kümmern. Vorbild ist ein Modellprojekt, das Fellgiebel in Rheinhessen begleitet.
Derzeit, so der Mediziner, seien viele Hausärzte mit der Betreuung von Demenzkranken überfordert: Die Symptome sind von Patient zu Patient unterschiedlich, die Erkrankung beginnt schleichend, die Diagnose wird häufig erst spät elgestellt, die Angehörigen sind unsicher, gestresst und häufig überfordert, die Demenzpatienten sind oftmals schwierig, manche aggressiv. Ihre Behandlung erfordert viele Gespräche und somit viel Zeit, die die Ärzte in der Regel nicht haben – und die ihnen auch nicht ordentlich vergütet wird. Demenzpatienten, die gerade eine Krise durchmachen, werden deshalb häufig stationär eingewiesen oder sie bekommen Psychopharmaka verschrieben.
Hausärzte als Lotsen, Fall-Manager als Kümmerer
„Das muss nicht sein, das tut ihnen auch nicht gut“, sagt Fellgiebel. Er plädiert dafür, Hausärzte gezielt in die Demenz-Versorgung einzubinden, sie zu schulen und ihnen Fallmanager – sogenannte Case Manager – zur Seite zu stellen, welche die Betroffenen je nach Bedarf ambulant begleiten. So sollen stationäre Aufenthalte vermieden, die Lebensqualität der Betroffenen gesteigert und die Belastung der pflegenden Angehörigen verringert werden.
Fellgiebel hat vor, in Darmstadt und der Region in den kommenden Jahren genau solch ein Teilhabe- und Versorgungsnetzwerk aufzubauen. Dazu will er das bestehende Demenznetzwerk weiter entwickeln. „Im Moment ist es nur zum Informationsaustausch da“, so Fellgiebel. Ziel müsse sein, die ambulante Versorgung zu verbessern und mehr präventiv zu arbeiten. Die Gedächtnisambulanz, die es seit Herbst in Darmstadt gibt, ist da ein wichtiger Baustein, um möglichst früh Diagnosen stellen zu können.
Auch die Stadt will der Mediziner ins Boot holen. „Wir brauchen eine kommunale Steuerung“, sagt er mit Blick auf die Qualität der Angebote. Wie wohnen Demente in Darmstadt? Wie sind Altenheime und Kliniken gerüstet? Wo gibt es Pflegeplätze für Demente? Fellgiebel: „Das darf man nicht dem Markt überlassen, das muss man als Stadt vorgeben, da brauchen wir eine städtische Struktur – ein Versorgungssystem, das Lösungen bietet.“