Viele Menschen aus der Region haben geflüchtete Ukrainer in ihrem Zuhause untergebracht. Zwei Familien berichten: über Bürokratiewahnsinn und zwischenmenschliche Probleme.
REGION. Viele Menschen in Deutschland haben seit Kriegsbeginn in der Ukraine Geflüchtete privat aufgenommen. Die Hilfsbereitschaft zu Kriegsbeginn war groß, aber viele der Gastfamilien stoßen auch an Grenzen. „Nie wieder“, sagt ein Senior aus Rheinhessen zu seinen Erfahrungen mit der Unterbringung einer Ukrainerin mit ihrem Sohn. „Wir haben die schrecklichen Bilder aus der Ukraine gesehen und mussten einfach etwas tun“, erklärt der Senior die Motivation des Paares, „aber in Zukunft werden wir spenden und fertig“.
Seit Anfang April leben im alten Kinderzimmer mit separatem Bad nicht nur zwei Menschen, die vor den Gräueln des Krieges geflohen sind – mit ihnen ist auch ein Bürokratiemonster ins Haus eingezogen. Denn die Gäste können weder Englisch noch Deutsch. Jeder Behördenbrief, jedes seitenlange Formular, jedes Infoblatt muss mühsam mithilfe elektronischer Software übersetzt werden. Stundenlang kann das dauern. Hinzu kommen Fahrten zu den Behörden, zur Bank oder der Schule des zehnjährigen ukrainischen Jungen. „Mit einigen der langen Formulare haben wir auch mal acht Stunden verbracht – nur um dann dieselben Angaben noch mal an anderer Stelle zu machen. Wir haben als Rentner ja Zeit. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie Berufstätige das machen sollen“, kritisiert der Rheinhesse. Und auch, dass viele der wichtigen Formulare nur auf Deutsch vorhanden sind: „Warum kann man beispielsweise die Wohnungsgeberbescheinigung, die jeder Mieter benötigt, nicht mal übersetzen, wenn wir Hunderttausende ukrainische Flüchtlinge im Land haben?“
“Wir haben den Anfang bedacht, aber nicht das Ende.”
Anmeldung bei den Ämtern, Wohnsitzanmeldung, Beantragung von Sozialleistungen, Finanzamt, Jobcenter, Versicherung, Sprachkurs – der Aktenordner für die Ukrainer ist sehr dick. Auch für die Schulanmeldung des Jungen mussten zunächst endlos Formulare übersetzt und ausgefüllt werden. „Es ist ja auch wichtig, dass die Mutter nicht nur einfach unterschreibt, sie muss auch verstehen können, was sie da unterschreibt.“ Auch lief zunächst die gesamte Kommunikation mit der Schule und Lehrkräften zu Organisation und Schulproblemen des Jungen über das Ehepaar. „Der Junge verweigert sich dem Unterricht, nimmt nicht an Sportaktivitäten teil und schläft teils am Unterrichtsplatz. Das einzige Wort, dass er auf Deutsch sagt, ist ´Nein´“, berichtet der Senior traurig. „Aber das ist letztlich Sache der Mutter, wir müssen uns da heraushalten.“ Die Ukrainerin macht mittlerweile einen Sprachkurs, beteiligt sich im Haushalt und viele Mahlzeiten werden gemeinsam eingenommen.
Starke emotionale Belastung für Gastfamilien
Menschlich funktioniere es eigentlich gut zwischen den Hausherren und den Gästen, „aber der zeitliche Aufwand für diesen Behördenwahnsinn raubt uns den letzten Nerv“. Und er sagt auch: „Wir haben den Anfang bedacht, aber nicht das Ende.“ Lediglich für einige Wochen sollte ihr Haus Zuflucht sein. „Wir sind jetzt aber soweit, dass wir das Ganze beenden möchten“, sagt der Rheinhesse, „schweren Herzens, denn es sind wunderbare Menschen. Und es ist keine schöne Vorstellung, dass die beiden eventuell in einer der furchtbaren Sammelunterkünfte stranden könnten. Aber es geht einfach nicht mehr.“
Auch für eine Familie aus dem Hochtaunuskreis ging es nicht mehr. Zu emotional belastend war die Situation mit einer ukrainischen Mutter und ihren beiden Kindern im Haus – ein Junge im Teenageralter und ein Mädchen. Für die Gäste aus der Ukraine haben die Eltern sowie ihre 10-jährige Tochter ihre Schlafzimmer im Reihenhaus geräumt und sind unters Dach gezogen. „Für uns war vollkommen klar, dass wir helfen müssen“, betont der Familienvater. „Wir haben nicht enorm viel Platz, dachten aber, das ist besser als nichts in so einer Situation.“
“Als Drohszenario hatten wir immer die Sammelunterkunft für Geflüchtete vor Augen, wenn es bei uns nicht klappt.”
Mitte April ist die ukrainische Familie eingezogen. Und bereits Ende Mai wieder ausgezogen. „Die Wohnsituation für uns gemeinsam im Haus war einfach zu belastend“, berichtet er. Es habe viele Reibungspunkte zwischen den beiden Familien gegeben: „Die drei waren ziemlich laut. Und das nicht nur tagsüber, sondern auch nachts. Die Küche haben wir uns geteilt und das hat gar nicht funktioniert. Wir fanden es zwar spannend, auch die ukrainischen Gerichte kennenzulernen. Aber wir mussten den dreien regelmäßig hinterherputzen. Wir haben mehrmals mithilfe einer Übersetzungs-App Gespräche über ein paar gemeinsame Hausregeln geführt – das hat aber nie gefruchtet.“ Und sie haben auch schnell gemerkt: Mit der bloßen Unterbringung ist es nicht getan. Behördengänge müssen begleitet werden, weil die drei Gäste nur etwas Englisch sprechen. „Das hat enorm viel Zeit gefressen“, betont der Familienvater, „aber wir hatten als Drohszenario immer die Sammelunterkunft für Geflüchtete vor Augen, wenn es bei uns nicht klappt“.
Ein Konfliktthema sei auch der hohe Energieverbrauch der Ukrainer gewesen: „Strom kostet in der Ukraine wohl nicht viel und deshalb brannte dann auch bei uns zu Hause ständig das Licht, wurde geheizt ohne Ende.“ Eskaliert sei die Situation aber schließlich, als die Gasteltern herausfanden, dass der ukrainische Teenager kifft und ihrem 13-jährigen Sohn einen Joint angeboten hatte. „Da war klar: Unser Zusammenleben funktioniert nicht. Eigentlich hatten wir vor, noch bei der Wohnungssuche zu helfen. Es ist uns aber sehr schnell klar geworden, dass es nahezu unmöglich ist, für die drei privat eine Wohnung zu finden. Letztlich mussten wir sie in die Verantwortung der Kommune zurückgeben. Eine Woche haben wir zum Umzug gegeben.“
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Das bedeutet in der Regel die Unterbringung in einer Sammelunterkunft. „Uns tut das natürlich leid. Man weiß ja auch nicht genau, was die Geflüchteten erlebt haben, weshalb sie sich so verhalten. Sicher haben wir auch Fehler gemacht und hätten vielleicht maximal zwei Personen unterbringen sollen. Und wir dachten zu Beginn auch, es sei nur für eine kurze Zeit. Vielleicht waren wir zu naiv.“
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