Zwei alleinerziehende Mütter von Grundschulkindern im Odenwaldkreis schildern ihr Leben mit schwierigen Kindern.
Von Sabine Richter
Lokalredakteurin Odenwälder Echo
Sie ist oft die erste Ansprechpartnerin für Mütter, Kinder oder auch Familien, die nicht wissen, wie es weitergehen soll: Antje Rümenapf, Leiterin der Grundschule in Beerfurth, die von der Aktion „Echo hilft!“ unterstützt wird.
(Foto: Dirk Zengel)
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BEERFURTH - Als der Papa die Familie verließ, fingen die Schwierigkeiten mit Jan an. Und als der Vater von Tom ging, beschloss der, sich in seine Welt zurückzuziehen. Damals waren beide Jungen, deren Namen die Redaktion geändert hat, noch im Kindergarten. Heute besuchen sie die Grundschule in Beerfurth – wo die Lehrkräfte kaum noch mit ihnen zurechtkommen. Ihren Müttern steht die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben, aber im nächsten Moment auch wieder eine Stärke, die staunen macht.
Kinder haben ein gutes Gespür für die Verfassung ihrer Familie – so war es Tom, der die Notlage seiner unter psychischen Problemen leidenden Mutter erkannte und sich an die Beerfurther Grundschulleiterin Antje Rümenapf wandte mit den Worten: „Meine Mama braucht mal eine Auszeit von mir.“
Erfahrungen wie diese sind es denn auch, die in Rümenapf die Idee mit dem Kinderhotel reifen ließen, das nun von der Weihnachts-Spendenaktion „Echo hilft!“ unterstützt wird. Wie berichtet, soll dieses Hotel keine feste Behausung sein, sondern ein Nomadenzelt, in dem Jungen und Mädchen aus dem gesamten Odenwald eine betreute Zeit ohne Eltern erleben können. Und die Mütter haben dann mal frei von ihren Kindern. Das ist nämlich etwas, das Anna, Jans Mutter gar nicht kennt.
DIE SCHULE
Die Grundschule Beerfurth liegt im gleichnamigen Reichelsheimer Ortsteil. Unterrichtet werden dort aktuell 87 Schüler von zehn Lehrkräften und zehn Personen als zusätzlichem Personal (fünf Kräfte im Ganztag, zwei Sozialpädagoginnen, drei Hilfskräfte). Neben dem Ganztagsangebot (Montag bis Donnerstag bis 15.30 Uhr) hat die Schule 2007 mit Unterstützung des Jugendamtes Erbach die soziale Gruppenarbeit eingerichtet. Dieses Angebot besteht von Dienstag und Donnerstag zwischen 12 und 17 Uhr und ist teilweise vernetzt mit dem Ganztag. Zu Beginn dieses Jahres wurde das Angebot ausgeweitet auf die Zeit ab 10 Uhr und auch in den Schulvormittag integriert. Träger aller drei Angebote ist die Arbeiterwohlfahrt Michelstadt. (ric)
Helfen Sie mit!
„Echo hilft!“ unterstützt den Förderverein der Grundschule Beerfurth, der eine Jurte für besondere pädagogische Arbeit bauen will. Der Förderverein hat ein „Echo hilft!“-Spendenkonto bei der Volksbank Darmstadt.
Quittungen über die Spenden stellt der jeweilige Verein aus. Bitte vermerken Sie bei Bedarf deshalb im Verwendungszweck Ihre Adresse.
Die Spenden beziehungsweise Spender werden veröffentlicht. Wenn Sie das nicht möchten, vermerken Sie das bitte im Verwendungszweck der Überweisung mit dem Hinweis „anonym“. (red)
„Wir beide glucken immer aufeinander“, erzählt Anna, deren Name ebenfalls geändert wurde. Schlimm für sie und vor allem für Jan war der Moment, als der Papa nach den Sommerferien auch noch den Umgang einstellte und den Bub fortan nicht mehr abholte. „Die Terroranschläge in der Schule“, wie die Mutter es nennt, verfestigten sich; Jan darf nun auf den Pausenhof gehen, um sich auszutoben, und eine Auszeit nehmen, wenn gar nichts mehr geht, er sich allen Anweisungen widersetzt und auch nicht mehr still sitzen kann.
Inzwischen haben beide Mütter über das Jugendamt Familienhelfer erhalten. Sie beraten bei Erziehungsfragen und sehen, wo es in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern hakt. Vor allem aber sind sie den Jungs auch eine männliche Bezugsperson – denn für Heranwachsende ist es wichtig, sich spiegeln und Verhaltensmuster abschauen zu können, erklärt Antje Rümenapf. Und einer der Familienhelfer ergänzt: „Leider ist es vielen Vätern gar nicht so bewusst, welch enorme Aufgabe sie für das Leben eines Kindes haben.“ Ansonsten hat Jan eine Großmutter mütterlicherseits, aber die wohnt weit weg, und der Großvater ist verstorben. Der Opa väterlicherseits hat mit Alkohol zu tun, weshalb selbst der eigene Sohn es ungern sieht, wenn das Kind dort ist. Mutter Anna vertraut da schon mehr: „Jan ist Opas Enkel, für den Kleinen möchte er da sein.“
Zusammengebrochen ist die Welt der 27 Jahre jungen Mutter erneut, als jetzt auch noch ihr Freund wegging, mit dem sie mehr als vier Jahre zusammen war, und zu dem auch ihr Sohn ein gutes Verhältnis hatte. „Das war am Freitag“, sagt sie, und ihr steigen Tränen in die Augen. „Jetzt bin ich ganz alleine.“
Szenen wie diese in der Grundschule lassen niemanden kalt. Toms Mutter Lisa reicht Anna ein Taschentuch, Antje Rümenapf hat Schokostückchen parat, in deren Verpackung kleine Lebensweisheiten versteckt sind: Gesten von Mitmenschlichkeit wie diese berühren. Doch für die Schulleiterin sind verzweifelte Eltern und Kinder am Rande der Beschulbarkeit keine Ausnahme mehr. Auch auf dem Land hat das soziale Netz der Familie längst große Löcher bekommen. Mütter stehen mit ihren Töchtern und Söhnen auch hier zunehmend alleine da.
Das immerhin sieht bei der 30-jährigen Lisa etwas besser aus: Sie hat eine große Patchwork-Familie, und auch der Vater von Tom ist da, wenn sein Kind ihn braucht, beispielsweise, als Lisa kürzlich wegen ihrer seelischen Probleme für neun Wochen in eine Klinik musste. Das Kind allerdings kam damit nicht klar. „Sein Verhältnis zu mir ist seitdem angeknackst“, berichtet die Mutter: „Er redet mit mir nicht mehr über alles.“ Eher schon mit dem Vater – immerhin. In der Schule ist der Rückzug des Jungen dann schon schwerer zu nehmen. Dafür fehle das Fachpersonal, aber das sei nicht alles: Die Schule von heute sei auch konzeptionell gar nicht ausgestattet, um auf die Probleme der heutigen Gesellschaft reagieren zu können, sagt Antje Rümenapf.
Trotzdem: Der Plan mit der Jurte kommt bei den zwei Müttern gut an. Tom würde es guttun, mal etwas anderes zu sehen. „Und für Jan wäre es wichtig, mal von der Familie wegzukommen und im Kontakt mit den Kindern zu sehen, dass es ihm nicht allein schlecht geht“, sagt Anna. Und sie selbst? „Ich hätte dann auch mal ein bisschen Zeit für mich. Wenigstens für ein paar Tage.“