Gedenken zur Pogromnacht in Reichelsheim

Mit dem szenischen Spiel „Stück ohne Titel“ des Kurses von Brigitta Gsell zeigen die Schüler das Unbegreifbare der Ereignisse. © Raoul Giebenhain

An der Georg-August-Zinn-Schule in der Odenwald-Gemeinde werden die Gräueltaten des 9. November 1938 in Erinnerung gerufen und der damals deportierten jüdischen Mitbürger gedacht.

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REICHELSHEIM. Anlässlich der Novemberpogrome des Jahres 1938 fand an der Georg-August-Zinn-Schule Reichelsheim (GAZ) eine bewegende und zugleich informative Gedenkveranstaltung statt.

Für die Schulleitung rief Studiendirektor Patrick Eckert zu Beginn der Veranstaltung die schrecklichen Ereignisse des 9. November 1938 in Erinnerung. Die Juden in Deutschland erlebten jene Nacht als eine schreckliche Zeit, in der sich die Gewalt der Nationalsozialisten endgültig Bahn brach. Am Beispiel des italienischen Juden Primo Levi gab Eckert den Opfern der Nazi-Verbrechen ein Gesicht. „Er durchlief sämtliche, von den Nazis geplanten Grausamkeiten, er wurde aus der Gesellschaft ausgeschlossen, er wurde deportiert, er wurde in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert, er wurde gequält und misshandelt – am Ende trieben ihn die Erinnerungen in den selbst gewählten Tod – mehr als 40 Jahre nach Ende des Krieges“, so Eckert.

Die zentrale Rede in Reichelsheim hielt Schulpfarrer Dieter Keim. Die Reichspogromnacht bezeichnete er als „Teil einer Geschichte, die weiter gegangen ist, bis sie beendet wurde von denen, die Nazi-Deutschland besiegen konnten“. Keim spannte den Bogen von den Anfängen der nationalsozialistischen Terrorherrschaft bis hin zur systematischen Vernichtung der Juden in den Konzentrationslagern. Albert Friedlander, ein Jude, deutsch von Geburt, als Jugendlicher aus Nazi-Deutschland geflohen, habe etwas gesagt, was Keims Lebensmotto sei, seit er zum ersten Mal von dem gehört und gelesen habe, was Drittes Reich, Nazis und Auschwitz bedeute: „Auschwitz kann niemals begriffen werden. Es ist unmöglich, über diesen Ort zu reden und unmöglich, über diesen Ort zu schweigen. Auschwitz ist ein schwarzes Loch des Bösen in der Welt.“ Diesem Zitat fügte Keim selbst hinzu: „Lasst mich als Christ sagen – und auch hier Friedlander zitieren: Die Toten nehmen das Böse, das ihnen angetan wurde, mit sich, um es vor Gott zu bringen. Es gibt kein menschliches Begreifen.“

Patrick Eckert ermutigte die Schüler, sich heute und in Zukunft für ein tolerantes und friedvolles Miteinander einzusetzen. „Erkennt an, dass jeder Mensch die gleichen Rechte hat, unabhängig seiner Herkunft, seiner Religion oder Hautfarbe. Lasst uns gemeinsam als Schule dazu stehen und diese Haltung leben“, so Eckert.

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Einen bewegenden Höhepunkt bildete schließlich das szenische Spiel „Stück ohne Titel“, das das Leid der Odenwälder Juden in der NS-Zeit auf Grundlage der beiden Bücher und Originalbriefe von Ruth David aus Fränkisch-Crumbach thematisierte. Konzeption und Darstellung gingen dabei auf die Schülerinnen und Schüler des DS-Kurses der Jahrgangsstufe Q3 unter der Leitung von Brigitta Gsell zurück. Schließlich wurden die Namen jener Jüdinnen und Juden verlesen, die aus dem Gersprenztal deportiert wurden.

Absolute Stille herrschte bei der Schweigeminute zum Gedenken an die jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner des Gersprenztals, zu der Geschichtslehrer Dr. Dirk Strohmenger, der die Veranstaltung gemeinsam mit Patrick Eckert organisiert und vorbereitet hatte, abschließend aufrief.

Die Musiklehrkräfte Joschka Althoff, Manfred Kilthau und Katrin Paul gaben der Gedenkveranstaltung mit jüdischen Instrumentalstücken einen würdigen Rahmen.