Odenwald: Orchesterleiter nach Kindesmissbrauch schuldig gesprochen
Das Darmstädter Landgericht hat einen 60-Jährigen des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig gesprochen.
Von Marc Wickel
Symbolfoto: Brian Jackson/fotolia
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ODENWALDKREIS/DARMSTADT - Wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern hat das Darmstädter Landgericht einen ehemaligen Odenwälder Orchesterleiter zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Der 60-Jährige hatte 2005 und 2006 sexuelle Handlungen vor einem unter 14 Jahre alten Schüler vorgenommen oder an sich vornehmen lassen. Die Taten hatte der Angeklagte am ersten Verhandlungstag gestanden. Auf das mit Blick auf die Musiklehrer-Funktion in Rede stehende Vergehen an Schutzbefohlenen erkannte die Kammer nicht.
"Sie haben die Vorliebe für pubertierende Jungs zwischen zehn und 16 Jahren gehabt, und die haben sie ausgelebt", sagte der Vorsitzende Richter Marc Euler in der Urteilsbegründung zum Angeklagten, der seit 1990 mit einem Mann fest zusammen ist. Der Angeklagte war auch Freund der Familie seines Opfers, das ihn regelmäßig auch zuhause besucht hatte.
Der Richter verwarf die Version der Verteidigung, dass der Angeklagte oft nur auf den heute 26 Jahre alten Geschädigten reagiert habe. "Die Avancen gingen von Ihnen aus", wandte er sich an den Verurteilten. Er habe die sexuelle Unerfahrenheit des anfangs Zwölfjährigen ausgenutzt, sagte Marc Euler. "Das Kind ist gezielt an sexuelle Handlungen herangeführt worden", erinnerte der Vorsitzende, dass homoerotische Internetseiten angesurft wurden oder Karten gespielt wurde - mit nackten Männern auf den Karten. Und im Tagebuch erwähntes selbst gemachtes Laugengebäck zum Abendbrot mit dem Jungen seien Brezeln in Penisform gewesen, schilderte der Richter.
"Die schwule Thematik war permanent Gesprächsthema", so Marc Euler. Auch wenn andere Jungs dabei waren. "Letztendlich haben Sie geguckt, wer springt darauf an." Partys beim Angeklagten spielten auch eine Rolle, wies Marc Euler auf private Feten nach Konzerten hin. "Bei ihm war das so ohne Regeln. Wir konnten rauchen, wir konnten trinken, wir konnten mit dem Roller rumfahren", hatte der Geschädigte am ersten Verhandlungstag geschildert. Einer der damaligen Jungen, inzwischen 25, hatte am zweiten Verhandlungstag versucht zu erklären, warum man den Eltern nichts von Schwulenpornos oder frivolen Spielen gesagt hatte: "Das war spannend und interessant." "Dabei kann man mit dem Thema Homosexualität auch ordentlich umgehen", sagte Richter Euler zum Angeklagten, der mal Pädagogik studiert hatte.
Mit der Haftstrafe folgte die Kammer Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die auf fünf Jahre Haft plädiert hatten. Rechtsanwältin Tabea Späth hatte den Geschädigten in der Nebenklage vertreten. "Es geht meinem Mandanten darum, dass nicht nochmal jemandem passiert", hatte sie in ihrem Plädoyer erklärt. Sie hatte den Angeklagten auch gelobt, da sie selten eine "so eine ehrliche und emotionale Entschuldigung" erlebt habe.
Verteidiger Dr. Christoph Schallert hatte nur eine strafbare Handlung gesehen (sexuelle Handlungen des Angeklagten vor den jungen Musikern) und auf ein Jahr Haft auf Bewährung plädiert. Die Tagebucheinträge wie "es kam zum Äußersten" seien nicht eindeutig.
Das aber sah die Kammer anders, da es auf die Gesamtschau der Indizien ankommt. Wenn man die Aussagen der Zeugen und die Tagebucheinträge betrachte, werde deutlich, was "das Äußerste" war, sagte Marc Euler zum Angeklagten. "Das war für Sie Oralverkehr." Beim Prozessbeginn waren 21 Fälle zwischen 2005 und 2009 angeklagt.
Allerdings hatte die Kammer die Taten nach 2006 anders bewertet als die Staatsanwaltschaft. Die Anklage war von sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen ausgegangen, das Gericht sah die Taten als sexuellen Missbrauch von Jugendlichen. "Diese Taten waren aber im Oktober 2013 verjährt", erläuterte der Richter.
Da die Kammer keine Fluchtgefahr beim Angeklagten sah, hob sie den Haftbefehl bis zum Haftantritt, der in einigen Wochen oder Monaten sein wird, auf.