Jüdische Friedhöfe werden auch von der Behörde besucht
Von Sabine Richter
Lokalredakteurin Odenwälder Echo
Eine Ruhestätte für jüdische Bürger, die früher im Gersprenztal gelebt haben: Der jüdische Friedhof in Reichelsheim. Wie alle fünf jüdischen Friedhöfe im Odenwaldkreis wird er einmal jährlich von der Kreisverwaltung auf Sanierungsbedarf hin untersucht. Foto: Kreisverwaltung
( Foto: Kreisverwaltung)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
ODENWALDKREIS - Michael Alt erkennt rasch, worauf es ankommt. Sein geübter Blick schweift über alte Grabsteine, dicke Friedhofsmauern und hohe Bäume. Droht ein Ast herabzufallen und Gräber oder deren Besucher zu treffen? Sind die Mauern schadhaft? Stehen die Grabsteine fest oder sind sie locker, umgefallen gar? Gibt es andere Mängel?
Diese Fragen stellt Michael Alt an diesem Vormittag fünf Mal – auf jedem jüdischen Friedhof, den es im Odenwaldkreis gibt. Alt arbeitet in der Abteilung Öffentliche Sicherheit und Ordnung im Landratsamt, einmal jährlich begutachtet er gemeinsam mit Hauptabteilungsleiterin Sarina Hildmann den Zustand der Gräberfelder. „Dazu sind wir aufgrund landesrechtlicher Vorgaben verpflichtet“, sagt Hildmann.
Nicht nur Pflichtaufgabe, sondern auch Vergnügen
Auch sie nimmt den Zustand der Friedhöfe und insbesondere der Grabsteine unter die Lupe und bittet Alt beispielsweise festzuhalten, welche zu reinigen sind. Für sie ist die 80 Kilometer lange Rundfahrt aber nicht nur eine Pflichtaufgabe: „Der Termin ist in jedem Jahr etwas Besonderes. Man wird Zeuge der Vergangenheit und gleichzeitig ermöglicht einem die Lage einzelner Friedhöfe einen unvergesslichen Blick auf die Landschaften im Odenwaldkreis.“
Eine Ruhestätte für jüdische Bürger, die früher im Gersprenztal gelebt haben: Der jüdische Friedhof in Reichelsheim. Wie alle fünf jüdischen Friedhöfe im Odenwaldkreis wird er einmal jährlich von der Kreisverwaltung auf Sanierungsbedarf hin untersucht. Foto: Kreisverwaltung Foto: Kreisverwaltung
Das Grab des Rabbiners Seckel Löb Wormser auf dem Jüdischen Friedhof in Michelstadt ist nach einer alten Sitte mit vielen Steinen belegt. Foto: Stefan Toepfer/Kreisverwaltung Foto: Stefan Toepfer/Kreisverwaltung
2
Bei ihren Besuchen treffen Hildmann und Alt auf Verantwortliche der jeweiligen Kommunen und besprechen mit ihnen fällige Arbeiten, was sie später auch noch einmal schriftlich bekommen. Spätestens ein Jahr später kann Alt bei seinem nächsten Kontrollbesuch sehen, ob die Kommunen allen Pflichten nachgekommen sind. Denn: „Die Grabstätten zeugen von der langen jüdischen Geschichte des Odenwaldkreises. Es ist wichtig, sie im Gedächtnis zu halten“, sagt auch Landrat Frank Matiaske.
Die Friedhöfe gehören dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen. In diesem Bundesland gibt es nach Angaben des Landesverbands rund 350 jüdische Friedhöfe. Der bekannteste der fünf im Odenwaldkreis dürfte der in Michelstadt sein, der um das Jahr 1700 angelegt wurde. Dort befindet sich das Grab des „Baal Schem“, des als wundertätig verehrten Michelstädter Rabbiners Seckel Löb Wormser, der von 1768 bis 1847 lebte. Bis heute besuchen Gläubige sein Grab und legen, wie es Brauch ist, einen Stein auf ihm nieder. Zwischen ihnen finden sich zahlreiche Zettel mit Wünschen und Anliegen.
FRIEDHOFSPFLEGE
Für die Pflege der jüdischen Friedhöfe im Odenwaldkreis und anderswo kommt der Staat auf. Der Bund stellt den Ländern dafür Geld zur Verfügung. Müssen zum Beispiel Grabsteine wieder aufgestellt werden, kann die jeweilige Stadt oder Gemeinde die Kosten beim für sie zuständigen Regierungspräsidium geltend machen. (ric)
Neben diesem Teil des Friedhofs hat die Stadt Michelstadt ein Grundstück für ein neues Gräberfeld erstanden. Auf diesem einzigen jüdischen Friedhof im Odenwaldkreis, wo heute noch Bestattungen stattfinden, ruhen bereits zwei Ehepaare, die jüngste Bestattung fand im vergangenen Jahr statt. So gesehen, schließt sich ein historischer Kreis: Bevor es die vier anderen im heutigen Kreisgebiet gelegenen Grabstätten gab, war der Michelstädter Friedhof ebenfalls die einzige Begräbnisstätte in der Gegend.
Der Friedhof in Reichelsheim wurde um das Jahr 1851 angelegt. Nicht in einem Wald, sondern auf einer Kuppe gelegen, können Besucher in die Ferne schauen. 220 Grabstellen gibt es dort, die Gemeinde hat alle hebräischen Inschriften übersetzen lassen, was nicht zuletzt dem Engagement des früheren Bürgermeisters Gerd Lode zu verdanken ist. „Um das Jahr 1870 gab es 40 jüdische Familien in Reichelsheim“, sagt er. Auf dem Friedhof wurden aber auch Verstorbene aus Fränkisch-Crumbach und Pfaffen-Beerfurth beigesetzt. Ein Gedenkstein erinnert an die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden aus den drei Kommunen.
Auf ihrem Rundgang über den Reichelsheimer Friedhof haben Hildmann und Alt nichts zu bemängeln – außer drei großen, verdorrten Ästen, die von einem Baum herüberragen. „Diese Äste müssen dringend weg“, befindet Alt. Auch in den zwei kleineren, am Waldrand gelegenen Friedhöfen in Höchst (angelegt Ende des 19. Jahrhunderts) und in Beerfelden (eingeweiht 1928) sind Ausbesserungsarbeiten und die Reinigung von Grabsteinen nötig. In Michelstadt hingegen müssen Grabsteine neu aufgestellt werden. Am kürzesten ist der Besuch in Bad König, denn der jüdische Friedhof dort ist mit sieben Gräbern der kleinste. Er befindet sich direkt neben dem städtischen Friedhof und wurde 1925 angelegt. Die letzte Beisetzung erfolgte dort 1939.