Ex-Orchesterleiter wegen Missbrauchs im Odenwald vor Gericht
Eine heute 60 Jahre alter Ex-Orchesterleiter aus dem Odenwaldkreis soll mit einem Musikschüler sexuell verkehrt haben, als der erst zwölf Jahre alt war.
Von Marc Wickel
Der Prozess am Darmstädter landgericht wird am 29. April fortgesetzt, insgesamt sind vier Verhandlungstage bis Mai angesetzt.
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
DARMSTADT/ODENWALDKREIS - "Die sexuellen Kontakte vor dem 14. Geburtstag des Geschädigten werden meinem Mandanten völlig zurecht vorgeworfen", sagt Verteidiger Dr. Christoph Schallert. Aber der inzwischen erwachsene, 34 Jahre jüngere Geschädigte habe in den anderen Fällen öfters von sich aus die Initiative ergriffen. Das ist der Spannungsbogen, in dem sich das Darmstädter Landgericht bei der Verhandlung über ein mutmaßliches Sexualverbrechen bewegt, das sich im Odenwaldkreis zugetragen hat.
Einem 60 Jahre alten Erbacher wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, einen inzwischen 26 Jahre alten Studenten zwischen Ende 2005 und März 2009 mehrfach missbraucht zu haben. Zusätzliche Pikanterie: Der Angeklagte war Orchesterleiter eines Odenwälder Ensembles, der Geschädigte einer der jungen Musiker, Ende 2005 war er zwölf Jahre alt. Bei den 21 angeklagten Fällen geht es darum, dass der Angeklagte sexuelle Handlungen an sich oder am Geschädigten vornahm oder vom Geschädigten an sich vornehmen ließ. Teilweise sollen auch andere junge Musiker dabei gewesen sein. Der Strafrahmen für die angeklagten Taten liegt zwischen drei Monaten und zehn Jahren Haft.
"Zwischen meinem Mandanten und dem Geschädigten gab es eine freundschaftliche Beziehung, die aus Sicht meines Mandanten bis 2016 reichte", sagte Rechtsanwalt Schallert in einer Erklärung. "Mein Mandant hatte sich in einer Phase seines Lebens nicht im Griff, ohne pädophil zu sein." Man müsse differenzieren, forderte der Jurist, weil auch Beziehungen zwischen unterschiedlich alten Menschen legal sein könnten, solange diese nicht unter 14 Jahre alt seien. Daher sind aus Sicht des Verteidigers nur sechs Anklagepunkt strafrechtlich relevant. Die Staatsanwaltschaft hält dem Angeklagten auch vor, dass er seine Position als Orchesterleiter ausgenutzt habe. "Dass der Geschädigte Schutzbefohlener war, kam meinen Mandanten nie in den Sinn", erklärte dazu der Verteidiger. Der Angeklagte, ein ruhig wirkender Mann mit normaler Statur und hellgrauen Haaren, hat bis zu seiner Verhaftung Mitte November 2018 im Außendienst eines Verlags gearbeitet. Er sei homosexuell, ließ er über seinen Verteidiger erklären, und seit 1990 fest mit einem Mann liiert. Der Geschädigte, ein junger Mann mit kurzem Vollbart, stellte in seiner Aussage den 34 Jahre älteren Angeklagten nicht als Sexmonster dar. "Er war wie ein Onkel für mich", sagte der Student, "teilweise wie ein erwachsener bester Kumpel." Der Student ist nicht homosexuell, er habe auch im Tatzeitraum verschiedene Freundinnen gehabt, sagte er.
Wie andere aus dem Orchester war der junge Musiker auch öfters in der Wohnung des 60-Jährigen. Es gab Videoabende mit Freiheiten, die zuhause nicht zu haben waren. "Es war schon eine schöne Zeit, wenn man das eine außen vor lässt."
"Das eine" seien unter anderem Pornos auf dem Laptop des Angeklagten gewesen, so der Geschädigte. "Das waren Videos von Jungs, die sehr jung waren, oder sehr jung aussahen." Da sei es darum gegangen, wer zuerst eine Erektion bekomme, beschrieb er ein "Spiel" des Angeklagten. Dabei seien teilweise auch andere Jungen dabei gewesen.
Der Geschädigte sagte, dass er mit 16 Jahren gegenüber dem Angeklagten bezweifelt habe, dass das, was da so passiere, in Ordnung sei. "Das darf keiner wissen", habe ihm da der Orchesterleiter gesagt. Erst vor zwei Jahren brach der Betroffene sein Schweigen. "Der Anlass war meine Freundin, die Psychologie studiert", sagte er. Sie habe bemerkt, dass der Angeklagte ein großes Interesse an ihm habe; zum Beispiel hatte er unzählige Postkarten aus einem Urlaub geschrieben "Der liebt Dich doch", habe seine Freundin festgestellt, sagte der 26-Jährige.
Der Prozess wird am 29. April fortgesetzt, insgesamt sind vier Verhandlungstage bis Mai angesetzt.