Oberzent-Schule zeigt Jugendlichen den ihnen unbekannten jüdischen Friedhof.
Von Thomas Wilken
Eine Wissenslücke bei den meisten Jugendlichen füllt die Oberzentschule mit einer Exkursion zum jüdischen Friedhof von Beerfelden, der seinen Platz an der Straße nach Ober-Sensbach hat.
(Foto: Thomas Wilken)
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BEERFELDEN - „Ein Friedhof sieht doch ganz anders aus“, meinte ein Jugendlicher der Oberzent-Schule und bestätigte damit den Sinn einer Exkursion der Bildungsstätte: Der Gang zum jüdischen Friedhof vor den Toren der Stadt sollte Siebt- und Achtklässler mit dem jüdischen Glauben, dessen lokaler Gemeinde und deren Vernichtung in der nationalsozialistischen Epoche vertraut machen und konfrontieren. Fast alle Schüler hatten keine Ahnung davon, dass es neben dem christlichen Friedhof vor Ort eine weitere Begräbnisstätte gibt. Da das Thema Nazi-Deutschland im Lehrplan erst noch ansteht, wussten sie auch noch nichts von den Gräueltaten. Der Unterrichtsgang zum Judenfriedhof in Beerfelden gehörte zum Religionsunterricht, Gabriele Maurer, Andreas Weinmann und Bernd Siefert erteilten die Lektion. Die katholischen Schüler erfuhren dabei, dass beim Bau der katholischen Kirche ein Jude die Hälfte der Kosten trug. Abraham Salomon Rosenthal war in die USA ausgewandert, wurde dort reich, vergaß aber seine alte Heimat nicht. Das Gelände des jüdischen Friedhofs mit einer Fläche von 840 Quadratmeter auf einem Gesamtgrundstück von 3500 Quadratmetern wurde dem Schulleiter zufolge 1926 von der Stadt Beerfelden an die heimische israelitische Religionsgemeinde verkauft. Die erste Beisetzung war die des Joseph Oppenheimer am 27. Februar 1927. Bis 1937 wurden dort 13 Mitbürger jüdischen Glaubens begraben.
Schändungen gab es seinen Worten zufolge während der Reichspogromnacht 1938 (Zerstörung der Kapelle, Umwerfen der Grabsteine) und 1994 (Umwerfen der Grabsteine). Während des Zweiten Weltkriegs blieb die Ruhestätte unversehrt. Nachdem gegen Kriegsende das Grundstück an die Stadt überging, erstattete diese es 1953 an die Jewish Restitution Successor Organization zurück. Im Jahr 1960 wurde der Landesverband der jüdischen Gemeinden in Hessen Eigentümer des Friedhofsgeländes. Der Friedhof ist inzwischen als religionsgeschichtliches Denkmal in die Liste der denkmalwerten Bausubstanzen aufgenommen. Der Schulleiter ging auch auf die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung ein. Diese stieg im 19. Jahrhundert stark auf über 150 Seelen an, um dann aber nach der Jahrhundertwende stetig zurückzugehen. Die Beerfelder jüdische Gemeinde hatte rund um das Jahr 1900 noch zu wenig Geld für einen eigenen Friedhof. Sie baute 1905 am Gartengrundstück des Frauenbadhauses eine Remise für den Leichenwagen an. Es war dann ebenfalls Abraham Salomon Rosenthal, der mit 200 000 Mark die Verwirklichung ermöglichte.
Die Planungen begannen schon 1924, als eine Friedhofsordnung erstellt wurde, verzögerten sich aber unter anderem durch Einsprüche der NSDAP. 1930 wollte man eine Leichenhalle in der Stadt errichten. Doch kam dieses Projekt ebenso wie die Sanierung der Synagoge nicht mehr zustande. Mit der Geschichte der jüdischen Religionsgruppe haben sich Oberzent-Schüler bereits in den vergangenen Jahren häufig beschäftigt. Auf ihren Antrag hin wurden bisher in Beerfelden eine Gedenktafel an der ehemaligen, 1938 zerstörten Synagoge angebracht (2008) und Stolpersteine verlegt (2012).
GESCHICHTSPROJEKT
Die Oberzentschule will die Auseinandersetzung mit der Vernichtung der Juden in Beerfelden im kommenden Schuljahr 2019/20 vertiefen. Dazu hat das Kollegium ein Religions-Projekt konzipiert, für das er die Unterstützung der Stiftung von Johanna Käpernick-Krämer zu gewinnen hofft.
Es heißt „Kirche im Dritten Reich/Judenverfolgung in Beerfelden“. Am 9. November wollen die Schüler in der dritten und vierten Stunde ein Gedenkgang mit Friedensgebetunternehmen. Eine Gesprächsrunde mit der jüdischen Autorin Lena Gorelik ist für den 11. November terminiert, ein Vortrag von Dr. Dirk Strohmenger über „Nationalsozialismus im Erbacher Landkreis am Beispiel Beerfeldens“ für den 14. November. (wilk)