Der Verein der Jäger für Erbach und Umgebung ist jünger, weiblicher und vielfältiger geworden. Der Kreisjagdberater erzählt, was sich in mehr als hundert Jahren noch verändert hat.
ODENWALDKREIS. Den Lodenmantel und Schlapphut haben die Jäger von heute an den Nagel gehängt; Outdoor-Kleidung ist angesagt im Wald. Überhaupt hat sich vieles verändert in den hundert Jahren, die es den Verein der Jäger im Odenwald nun schon gibt und weshalb er sein Jubiläum mit geladenen Gästen in der Erbacher Werner-Borchers-Halle feiert. Aber die Jagd selbst ist so alt wie die Menschheit und noch immer ein Moment, in dem sich ein Tier und sein Verfolger auf intensive Weise begegnen.
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Beim Blick zurück auf dieses Jahrhundert, das politisch wie sozial voller Umbrüche steckte, kann Vereinsvorsitzender und Kreisjagdberater Moritz Krellmann auch für die Jägerschaft sagen, dass sie jünger und weiblicher geworden ist. Sie steht am Puls der Zeit. Das zeigt sich kaum treffender als am Beispiel einer Frau, „die zu uns gekommen ist, weil sie bisher vegan lebte und jetzt nur jenes Fleisch essen will, das sie selbst erlegt hat“, berichtet Daniel Flick, der für die Öffentlichkeitsarbeit im Verein zuständig ist.
Überhaupt seien die Jungjäger heute anders als früher: „Es sind zunehmend Leute, die keine Berührung mit dem Thema in der Familie haben. Sie kommen, weil sie mehr über den Wald lernen und bewusster durch die Natur laufen möchten“, sagt Krellmann. Und viel lernen, das müssen die durchschnittlich 20 Anfänger pro Jahr, denn der Jagdschein ist anspruchsvoll.
Frischer Wind in der Branche
Der Vereinsvorsitzende sieht in der neuen Klientel aber auch eine große Chance für die Jägerschaft: „So sind wir weiterhin in der Mitte der Gesellschaft verankert.“ Und die Sinnhaftigkeit werde mehr hinterfragt. Menschen, die nicht in der Branche aufgewachsen sind, „bringen eine neue Blickrichtung rein“. Dies umso mehr, als jeder dritte Grünrock heute von einer Jägerin getragen wird.
650 Frauen und Männer haben derzeit im Odenwaldkreis einen Jagdschein. 530 haben sich im Verein der Jäger zusammengeschlossen. Und es gibt noch etwas, das alle von ihnen eint: „Es ist die Ehrfurcht vor dem Geschöpf“, sagt Moritz Krellmann. Dies gilt vor allem in dem Moment, wenn der Jäger den Finger am Gewehr krümmt: „Dies ist alles andere als empathieloses Töten, nichts Zügelloses.“
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Daher hält er auch den oft gehörten Vorwurf, die Hege werde nur betrieben, um mehr Tiere totschießen zu können, für absurd. Im Gegenteil bremsen die Jäger eher, wenn es um Abschusszahlen geht. „Denn selbst die Klimawandeldebatte können wir nicht auf dem Rücken der Tiere austragen.“
Deutlich weniger Hasen
Die jährliche Strecke, also die Anzahl des geschossenen Wildes im Kreisgebiet, ist dennoch beachtlich: Im Jahr 2021 umfasste sie 3300 Rehe, 2400 Wildschweine und 300 Stück Rotwild (Rothirsche). Außerdem kommen in etwa 700 Füchse sowie eine kleinere Anzahl anderer Wildarten zur Strecke. Aber auch diese Auswahl hat sich im Laufe der Zeit gewandelt: „Bis in die Achtzigerjahre ging es noch viel ums Niederwild, also um Hase, Fasan, Rebhuhn und Kaninchen, während es in den Siebzigern hier noch so gut wie keine Wildschweine gab“, erzählt Krellmann. Doch nach der Flurbereinigung haben die Niederwildbestände leider drastisch abgenommen. So liegt der Fokus heute auf dem Hochwild, also auf Wildschweinen und Hirschen.
Bei alledem hat die Tierwohl-Diskussion längst auch das Selbstverständnis der Jägerschaft geprägt, erklärt der Vereinsvorsitzende. „Am Ende geht es eben auch um das Töten eines Lebewesens, das einen Herzschlag hat. Wir haben den Ehrgeiz, es handwerklich richtig und gut zu machen.“ Viel Vorarbeit gehört dazu: So wird das richtige Tier ausgewählt, was in einer Wildschwein-Rotte oder auch bei den Böcken meist ein Schwaches ist. Vor dem Schuss ist es richtig „anzusprechen“, damit der Treffer sitzt, und wenn es denn tot ist, muss das Fleisch korrekt verarbeitet werden. „Das ist dann eigentlich die Hauptarbeit“, sagt Daniel Flick.
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Für ihn gibt es keinen Zweifel: „Wir essen zu Hause nur Wild, es ist ein Privileg, so ein gutes Lebensmittel zu haben.“ Denn frei lebende Tiere, die geschossen werden, sterben ohne lange Transporte zum Schlachthof und laufen bis zuletzt frei herum. Und dann gibt es noch ganz sachliche Argumente für die Jagd wie die Regulierung der Bestände. In Zeiten ohne natürliche Feinde und bei Vermehrungsraten von bis zu 300 Prozent beim Schwarzwild ist es ratsam, einzugreifen. Weitere jagdliche Aufgaben sind die Kitzrettung vor dem Frühjahrsschnitt, das Einzäunen von Maisäckern, die generelle Wildschadenverhütung und Schadenbeseitigung sowie das Bauen von Hochsitzen.
Im Odenwaldkreis ist die bejagbare Fläche 58.000 Hektar groß, was 58 Fußballfeldern entspricht. Darauf verteilen sich 149 meist genossenschaftliche und private Jagdreviere, die zu zwei Dritteln aus Wald und zu einem Drittel aus landwirtschaftlicher Fläche bestehen.
Zweiter Weltkrieg brachte Zäsur
„Das Reviersystem gab es in Deutschland schon immer“, eine deutliche Zäsur brachte aber der Zweite Weltkrieg mit sich, sagt der Kreisjagdberater: „Als der vorbei war, hatten die amerikanischen Soldaten das Sagen und sind auch bis in die Fünfzigerjahre hinein hier zur Jagd gegangen.“ Erst 1952 gab es eine sogenannte Waffen-Amnestie, woraufhin auch deutsche Jäger ihrem Waidwerk wieder nachgehen und die Schießstände aufnehmen durften.
Dass die Geschichte des Vereins der Jäger im Odenwald und seiner hoheitlichen Aufgaben wie Jungjäger-Ausbildung und Jagdhundeprüfung weitergeschrieben wird, dürfte dank des Nachwuchses sichergestellt sein. In der Jagdschule „Forsthaus Almen“ werden etwa 20 Jägerinnen und Jäger pro Jahr in Theorie und Praxis ausgebildet. Sie führen viele gute Traditionen fort – selbst wenn die Zeiten von Lodenmantel und Schlapphut vorbei sind.
Von Sabine Richter