Auf bissige Hunde spezialisiert ist Ute Heberer. Die Vorsitzende von Tiere in Not Odenwald hat eine Gruppe Ehrenamtlicher gegründet, die mit ihr solche Hunde resozialisieren.
ODENWALDKREIS. Diese Runde ist nichts für schwache Nerven: Elf Hunde stehen im Kreis, an der Leine gehalten von Menschen, die ein Herz für „Schwere Jungs“ im Tierheim auf der Spreng haben. Alle Tiere tragen Maulkörbe, manche knurren, andere jaulen. Kommt ein Spaziergänger vorbei, explodieren sie, reißen an den Leinen, drehen sich um die eigene Achse, beißen nach ihren Leuten. Ute Heberer vergleicht diese Hunde mit Menschen, die kriminell geworden sind: „Durch ihre Lebensumstände haben sie Falsches gelernt. Hier sollen sie in den Alltag zurückfinden.“ Mit „hier“ meint die Tierheimleiterin das neue Projekt „Hundetraining 2.0 – fast jeder Hund kann das Zusammenleben lernen“ des Vereins Tiere in Not Odenwald (TiNO).
Dabei ist von den „Schweren Jungs“, wie Vereinssprecherin Xenia Siebrands sie nennt, eigentlich nur Spyke ein Koloss: Der 70 Zentimeter hohe und ebenso schwere Mix aus Rhodesian Ridgeback und Dogge wird sein Leben vielleicht im Tierheim beschließen. „Der Mann, den er krankenhausreif gebissen hat, musste mit dem Hubschrauber weggebracht werden“, sagt Ute Heberer, die sich auf Problemfälle spezialisiert hat. Ihr Wissen gibt sie in Seminaren und Büchern weiter; 2013 wurde der Verein auch mit dem hessischen Tierschutzpreis ausgezeichnet.
Nicht jeder ist noch in der Lage, Hunde zu erziehen
Keine Angst vor Spyke hat Snoopy, ein kleiner Pekinesen-Mischling und Dreikäsehoch, der glaubt, es mit der ganzen Welt aufnehmen zu können. Seine früheren Besitzer gaben ihn ab, weil er Chef im Haus war und sich mit seinen Zähnen durchsetzte. Selbstbewusst tippelt er im Hundetraining 2.0 an der Leine seiner Patin Sabine Ruff in Schlangenlinien zwischen den anderen Hunden umher. Diese Übung, Artgenossen zu begegnen, ohne auszuflippen, besteht der intelligente Bursche auf Anhieb, hat er doch längst begriffen, dass jetzt seine Patin der Boss ist. „Man darf nicht so zaghaft zu ihm sein, nur weil er so klein ist“, sagt sie, sonst dreht er den Spieß wieder um.
Dass der Mensch das Sagen hat, zählt zu den zentralen Lerninhalten dieses Trainings, dessen Leitung die angehende Hundetrainerin Nanina Gerbig übernommen hat. Respekt vor ihren Besitzern, eigentlich eine Selbstverständlichkeit, haben diese Hunde nie gelernt, obwohl fast alle als Welpen in Familien kamen und beste Startbedingungen vorfanden. Auf den ersten Blick jedenfalls – auf den zweiten nicht. Denn „heute sind viele Menschen nicht mehr in der Lage zu erziehen“, sagt Ute Heberer. „Das gleiche Problem wie bei Kindern“, ergänzt sie. Hier wie dort mangelt es in der Erziehung an Konsequenz und einer klaren Linie sowie Durchsetzungsvermögen der Erwachsenen. Wenn Hunde irgendwann selbst bestimmen, was sie wollen und was nicht, fangen die Probleme an. Der typische Abgabehund ist deshalb ein Rüde im Alter von einem bis 1,5 Jahren: Dann steckt er in der Pubertät.
Ein Beispiel, wie es nicht laufen sollte, gibt eine Mutter mit Tochter ab, die bei TiNO um Hilfe gebeten hat. „Sie schaffte sich zwei Welpen an, weil die so süß waren“, schildert Ute Heberer. Die Rüden wurden groß, und die Mischung aus Dogo Canario und Malinois „ist so, wie wenn man einen Brandbeschleuniger in eine Feuerstelle wirft“, sagt Nanina Gerbig. „Fahrlässig so was“, findet Ute Heberer, die ein Problem darin sieht, dass sich ahnungslose Menschen Hunderassen anschaffen, die eigentlich zum Arbeiten herangezogen werden sollten. „Diese Molosser-Typen, Hütehunde und Schäferhunde“ sind für das Familienleben nicht unbedingt gemacht. Einen Herdenschutzhund wie den gigantischen türkischen Kangal in einer Hochhauswohnung zu halten, sei schlichtweg unverantwortlich. Die Endstation ist für viele das Tierheim.
50 Hunde sitzen derzeit auf der Spreng, 30 von ihnen gelten als schwierig. Manche wurden aus anderen Heimen in der ganzen Republik hierhergebracht, weil sie wegen ihres Wesens dort nicht mehr vermittelt werden konnten. 25 ehrenamtliche Paten kümmern sich um sie – mehr Frauen als Männer, die Altersspanne reicht von Zwanzig bis Siebzig, und auch die Motivationen sind denkbar unterschiedlich: Tierliebe, eine sinnvolle Beschäftigung, Mitleid. „Bei einer Frau stellte sich heraus, dass sie mit den ,Schweren Jungs‘ ihre Hundephobie überwinden will“, erzählt Ute Heberer. Auch Katja Schumacher gehört zur Gruppe und kommt regelmäßig aus Heidelberg angefahren, um dem Koloss Spyke ein bisschen Abwechslung zu schenken. „In seinen Zwinger gehe ich nicht, sondern lasse mir den Hund herausholen“, erzählt sie. Trägt er dann seinen metallenen Maulkorb, der ihn noch martialischer wirken lässt, zeigt er herzerwärmende Zärtlichkeit und drängelt sich fest an seine Patin. Seine Liebe drückt er auch aus, indem er ihr die Vorderpfoten auf die Schultern legt und sie locker um einen halben Kopf überragt. Ihn zu adoptieren, lehnt Katja Schumacher aber ab: Mitten in der Stadt, das wäre nichts für den Großen, zumal er ja nicht ungefährlich ist. Außerdem hat die Heidelbergerin bereits einen Hund und will dem Verein TiNO helfen, „weil ich dieses Heim ganz besonders finde und diese Tiere eine Chance verdient haben“.
Hoffnung, vermittelt zu werden, besteht derzeit für den schönen Husky-Mischling Damian, der mit Nadine Scharnagel-Rapp trainiert und ebenfalls Respekt vermissen lässt. „Er ist ein stolzer Hund. Wenn er nicht hingesetzt werden möchte, dann möchte er das nicht“, beschreibt Trainerin Gerbig sein Problem. Inzwischen hat er gelernt, dass er damit nicht mehr durchkommt und Interessenten gefunden, die es mit ihm versuchen möchten. Im Idealfall sind die neuen Halter hundeerfahrene und konsequente Menschen. Ob Kinder im Haushalt leben sollten, „muss man sehr sensibel und individuell sehen“, sagt Ute Heberer. Manche Hunde kommen mit Kindern sogar besser zurecht als mit Erwachsenen, weil sie mit den Kleinen kein Autoritätsproblem haben, andere aber können Kinder gar nicht leiden, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben.
Ein Zuhause gefunden hat die Hündin Freny, die nun mit ihrer neuen Besitzerin Alena Hofmann in Reichelsheim lebt. Die beiden besuchen das Training 2.0 nach wie vor, um dem Tier weiter in den Alltag zu helfen. „Wir können mit den Hunden viel machen“, sagt Ute Heberer, die einige bereits vermittelt hat. „Aber zaubern – das können wir nicht.“
Von Sabine Richter