Beschwerden über die Odenwaldbahn haben sich zuletzt wieder gehäuft. Wie fühlt sich da eine Fahrt an? Ein Selbstversuch auf der Strecke zwischen Ober-Ramstadt und Erbach.
ODENWALDKREIS/DARMSTADT-DIEBURG. „Sehr geehrte Damen und Herren, unsere Weiterfahrt verzögert sich ab hier.“ Diese Begrüßung aus dem Wagenlautsprecher bringt gleich auf den Punkt, womit die Odenwaldbahn in diesen Wochen immer wieder zu kämpfen hat: Verspätungen. Wie berichtet, haben sich zuletzt die Beschwerden von Fahrgästen gehäuft.
Bildergalerie
Stichprobe an einem Werktagsmorgen
Sowohl der Rhein-Main-Verkehrsbund (RMV) als auch Auftragnehmer Vias führen die Problemlage vor allem auf Störungen im Netz außerhalb des Odenwaldkreises zurück. Grund genug, sich das Bahnfahren im Odenwald einmal genauer anzuschauen und dabei vor allem die Grundaufstellung des regionalen Beförderungssystems und seines Betreibers in den Blick zu nehmen. Eine Stichprobe per Selbstversuch auf der Strecke von Ober-Ramstadt nach Erbach und wieder zurück hinterlässt zumindest gemischte Gefühle.
Los geht die Fahrt an einem Werktagsgmorgen. Der Zug in Fahrtrichtung Eberbach kommt am Ober-Ramstädter Bahnhof pünktlich um 8.59 Uhr an, fährt aber sechs Minuten zu spät los. Wer beispielsweise als Pendler den Umstieg vom Auto zur Odenwaldbahn wagen will, gewinnt trotzdem einen guten ersten Eindruck: Der Zug ist sauber und wohltemperiert, es gibt genügend Sitzplätze, und auch der Ausblick über die weiten Felder bei Otzberg-Lengfeld kann sich durchaus sehen lassen.
Auf die bis dahin entspannten Reiseminuten folgt jedoch große Verwirrung. In Groß-Umstadt-Wiebelsbach soll einer der Wagen abgekoppelt werden. Die Fahrgäste werden gebeten, in den vordersten Wagen auszuweichen, jedoch: Da sitzen sie und der Reporter bereits. Dass die Aufforderung dann nicht nur auf der Haltestellen-Anzeige zu lesen ist, sondern auch noch mehrfach über den Lautsprecher wiederholt wird, hilft in dieser Situation nicht weiter und sorgt dafür, dass einige Fahrgäste aussteigen – nur um sichtlich verärgert direkt wieder einzusteigen.
Pünktliche Ankunft am Morgen
„Das ist aber blöd gemacht“, sagt dazu eine Frau. Und auch die neu ankommenden Pendler vom gegenüberliegenden Gleis wissen offensichtlich zuerst nicht so recht, ob sie zusteigen können oder womöglich im falschen Wagen sitzend am Bahnhof vergessen werden. Nach einigem Hin und Her und der mehrfachen Nachfrage bei den Zugbegleitern entspannt sich die Lage schließlich: Die Wechselaufforderung war eine Falschmeldung. Manch einen Fahrgast kann das seinen Sitzplatz gekostet haben, aber sei’s drum. Zumindest der Rest des Weges in Richtung Erbach bleibt ohne weitere Zwischenfälle. Zwar müssen einige Fahrgäste im Stehen mitfahren, und für Fahrräder ist es eng geworden, doch die verlorenen sechs Minuten vom Anfang der Fahrt hat die Odenwaldbahn wieder eingeholt.
„Ich fahre jeden Tag von Lengfeld nach Erbach“, erzählt eine Pendlerin nach Ankunft in der Kreisstadt. „Das funktioniert gut, und fünf Minuten Verspätung sind auch kein Problem. Aber manchmal dauert es doch deutlich länger, oder der Zug fällt gleich ganz aus.“ Was die Dame damit meint, wird am Nachmittag auf der Rückfahrt deutlich. „Seit 15.30 Uhr brummt der Zug, aber niemand ist da“, sagt eine weitere Pendlerin, die täglich zwischen Höchst und Erbach unterwegs ist und ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte.
Auf den Bahnhof in Erbach scheint die Nachmittagssonne mit voller Wucht. Schattige Flecken gibt es am Bahnsteig noch weniger als Sitzplätze. Eine Menschentraube wartet entsprechend ungeduldig darauf, endlich in den Zug in Richtung Darmstadt einsteigen zu können. Es ist 15.50 Uhr. Eigentlich sollte die Odenwaldbahn gerade losgefahren sein. „Aktuell gibt es viel Unpünktlichkeit“, sagt die Pendlerin.
Verspätungen werden beinahe wieder eingeholt
Erst neun Minuten später fährt ein alternativer Zug ein. Weitere sieben Minuten danach – also mit insgesamt 16 Minuten Verspätung – beginnt die Rückfahrt nach Ober-Ramstadt. Wer auf die Sonne zuvor lieber verzichtet hätte, kann sich nun wenigstens über einen erneut wohltemperierten Zug freuen. Anders, als man das häufig in Regionalbahnen erlebt, ist die Toilette außerdem behindertengerecht und sauber. Sogar einen Großteil der Verspätung holt die Odenwaldbahn bis zur Ankunft in Ober-Ramstadt wieder heraus, was den Verzicht aufs Auto rückblickend ein bisschen weniger abenteuerlich wirken lässt. Insgesamt ist der von der Odenwaldbahn entstandene Eindruck bis dahin also nicht optimal, aber dennoch gut.
So sieht das auch Arthur Müller, der sein Fahrrad auf der Strecke nach Ober-Ramstadt mitgenommen hat: „Ich fahre sonst eigentlich gar nicht mit der Odenwaldbahn, aber die Fahrt war gut. Nur die Anzahl der Fahrradplätze ist grenzwertig.“ Müller, der dieses Mal noch einen Platz für sich und sein Velo bekommen konnte, hält das wohl auch nicht davon ab, künftig öfter in den Odenwald zu fahren. „Der Ausblick während der Fahrt war fantastisch.“ Außerdem stellt Müller heraus, „haben alle Maske getragen. Ich habe keine Lust auf Corona, deswegen finde ich das gut so.“ Von den wenigen Fahrgästen, die den Mund-Nasen-Schutz zielgerichtet unter ihr Kinn verfrachtet haben, einmal abgesehen, lässt sich Müllers Eindruck bestätigen.
Lesen Sie auch: Millionenschub für Odenwaldbahn Darmstadt-Erbach-Eberbach
Aber: Die Fahrten nach Erbach und zurück nach Ober-Ramstadt waren nur eine Stichprobe. Zwar wurden beide Verspätungen fast komplett eingeholt, ein durch und durch verlässliches Bild der Odenwaldbahn ergibt sich aber nicht. Vor allem für Pendler, die tagtäglich auf den Zug angewiesen sind, ist das wohl eine schwierige Lage.