Viele konventionelle Landwirte plädieren ebenso wie Bio-Bauern für eine Neuausrichtung der Landwirtschaft und suchen Wege, dem Dilemma der industriellen Produktion mit all...
DARMSTADT-DIEBURG/ODENWALDKREIS. Ein Schwein nach dem anderen schlüpft durch eine Schwenktür ins Freie. In der Außenbox fahren ihre Rüssel durchs Stroh, manche suhlen sich auch in der Einstreu. Aber sind sie hier, in der frischen Luft, wirklich glücklicher als ihre Artgenossen drinnen im Stall? "Das musst Du sie selber fragen", sagt Landwirt Lutz Eidmann und lacht. "Ich sehe nur, dass sie gerne draußen sind." Ansonsten seien die Tiere weder gesünder noch kränker als andere. Es sind wohl mehr die Menschen, denen es bei ihrem Anblick etwas besser geht. Zumal diese Schweine, und das ist das Besondere, in einem konventionellen Mastbetrieb leben. Ihr Platz ist der Eidmannshof bei Groß-Umstadt. Insgesamt 1800 Schweine werden dort gehalten. Die Idee, wenigstens denen auf der einen Seite des Stalles Freigang zu bieten, kam dem Landwirt auf Anregung eines Metzgers in Langen, der seinen Kunden mehr Tierwohl garantieren will. Und das steigt in der menschlichen Wahrnehmung mit der Freilandhaltung.
Aber es sind nicht die Verbraucher allein, die eine Veränderung in der Landwirtschaft wünschen. Die Bio-Bewegung brachte Schwung in die Branche, und nun plädieren auch viele herkömmlich arbeitende Bauern aus tiefer Überzeugung für eine Neuausrichtung der Landwirtschaft und suchen Wege, dem Dilemma der industriellen Produktion mit all ihren Folgen für Mensch und Tier zu entkommen. Ihnen geht es darum, das Prinzip "Wachsen oder Weichen" zu stoppen, sie diskutieren über vernünftige Betriebsgrößen, den Einsatz von Spritzmitteln und die Tierethik.
Lutz Eidmann handelte: "Ende 2016 haben wir mit dem Umbau des Stalles angefangen, im Februar 2017 liefen die ersten Schweine von drinnen nach draußen." In ihren zweigeteilten Boxen, von denen die eine Hälfte weiterhin den Schutz des Stalls bietet, tummeln sich 55 Exemplare des Deutschen Landschweins, gemischt mit Pietrain. Der Mist fließt in eine Rinne, wo er automatisch abtransportiert wird. Aber der Landwirt muss noch mit einem Schieber nachhelfen, das bedeutet Mehrarbeit. Dafür haben die Ferkel doppelt so viel Platz wie vorgeschrieben: 1,5 Quadratmeter pro Tier. Das klingt nach wenig, erlaubt den Schweinen aber zu rennen und zu spielen. Viereinhalb Monate leben sie so, dann fährt Eidmann sie zum Schlachter.
Dass er seinen Betrieb gleich ganz auf "Bio" umstellen könnte, kam dem Groß-Umstädter Landwirt nicht in den Sinn, obwohl der Landkreis Darmstadt-Dieburg und auch der Odenwaldkreis zu Öko-Modellregionen in Hessen werden sollen: Darauf sei seine Betriebsstruktur nicht eingerichtet, sagt er. Ihm fehlten sowohl die Manpower als auch die Vermarktungsmöglichkeit. "Ich hätte gar keinen Bio-Metzger, der Bio-Schweine sucht." Und in der Öko-Landwirtschaft allein liege die Zukunft ohnehin nicht, erklärt der Groß-Umstädter.
Das sieht auch Eidmanns Kollege Martin Allmenröder so, der 1700 Schweine im Erbacher Weiler Roßbach mästet - allerdings ohne Freigang. Den Stall nach außen zu öffnen, würde ihm kurioser Weise laut Bundesimmissionsschutzgesetz nicht genehmigt werden. Aber auch Allmenröder macht sich viele Gedanken über die Tierethik, hat bei jedem Umbau seines Stalles erwogen, auf "Bio" umzustellen, und sitzt sogar am "Runden Tisch Tierwohl" der Hessischen Landesregierung, Arbeitsgruppe Schwein, wo über die Anforderungen einer tiergerechten Haltung diskutiert wird.
Inzwischen hat er die Zahl seiner Schweine von einst 1800 um 100 verringert, damit jedes Tier etwas mehr Platz in der Box hat. Seinen konventionellen Mastbetrieb behält Allmenröder aber bei - auch aus wirtschaftlichen Gründen: Als Bio-Hof ginge er pleite, sagt er. Denn insbesondere Schweinefleisch sei am schwierigsten auf dem Markt abzusetzen, weil viele ökologisch orientierte Kunden Ressentiments dagegen pflegten. Auch die Bio-Märkte zieren sich: Mal brauchen sie mehr Fleisch, dann wieder wenig, sagt der Odenwälder. "Wenn ich aber bei einer Flaute das Bio-Fleisch konventionell vermarkten muss, rechnet es sich nicht mehr." Denn die Haltung von Bio-Schweinen sei kostenintensiver als ein herkömmlicher Maststall.
Besonders problematisch findet der Landwirt den Preisdruck der Discounter. Denn seit diese Bio entdeckt hätten, gehe der Kampf dort genauso los. "Bio-Fleisch wird verramscht, weil sie damit die Leute in die Supermärkte kriegen." Um dem Druck standzuhalten, würden nun auch die Öko-Betriebe wachsen und damit auf Masse setzen wie konventionelle Landwirte auch. Eine fatale Konsequenz daraus sei, dass ein Bauer nach dem anderen in Deutschland das Handtuch werfe und die hier benötigten Lebensmittel vermehrt aus dem Ausland importiert werden müssen, "wo Fleisch in konventionellen Betrieben produziert wird, in denen man sich ums Tierwohl herzlich wenig kümmert". Schon jetzt stammten 55 Prozent aller in Deutschland konsumierten Eier aus Käfighaltung im Ausland. So gehe es vielleicht den weniger werdenden Tieren in Deutschland besser, aber eben nicht allen Tieren. Das findet Allmenröder verlogen.
Vor dem Hintergrund all dieser Entwicklungen sieht der Landwirt bald den Moment gekommen, in dem auch "die Bios" ins Zweifeln geraten. Er selbst ist schon lange davon überzeugt, dass die ökologische Wirtschaftsform alleine ebenso wenig bestehen kann wie das konventionelle Bauerntum, zumal der Gesamtanteil der Bio-Branche an der Produktion lediglich 7,5 Prozent beträgt. Er fordert: "Wir müssen weg von den Grabenkämpfen zwischen konventioneller und Öko-Landwirtschaft und einen gemeinsamen Weg finden." Vor allen Dingen solle endlich festgelegt werden, was genau das "Tierwohl" sein soll.
Denn bis jetzt scheint die Gesellschaft nur zu wissen, was sie nicht mehr will: Die Kreatur einem industriellen Betriebssystem unterzuordnen, in dem sie unter nicht artgerechten Bedingungen für Billigfleisch herhalten muss; quälende Tiertransporte und fragwürdige Schlachtbedingungen eingeschlossen. Verbraucher, die sich dieser Art von Fleischproduktion entziehen möchten, sollen nach dem Willen der beiden Landwirte mehr Alternativen finden als die Bio-Landwirtschaft. Vielleicht ist das für die gesamte Landwirtschaft eine gute Lösung.
Und die Tiere? "Sie müssen irgendwann sterben, dafür werden sie letztlich gehalten", sagt Lutz Eidmann, während sein Blick über seine Schweine streift, die gerade im Stroh wühlen. "Aber wir wollen wenigstens erreichen", ergänzt Martin Allmenröder, "dass sie bis dahin ein ethisch vertretbares Leben hatten".
Von Sabine Richter