FSJ im Bad Königer Altenheim: Jugendliche lernen fürs Leben
Hazal Akyol macht ein Freiwilliges Soziales Jahr im Bad Königer Pflegeheim. Manchmal gibt es dort drei bis vier FSJler gleichzeitig - alle sind sehr begehrt.
Von Sabine Richter
Lokalredakteurin Odenwälder Echo
Die 16-jähirge Hazal Akyol unterstützt im Haus Rosenhöhe, wo sie nur kann. Foto: Dirk Zengel
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BAD KÖNIG - Zeit fürs Mittagessen im Bad Königer Alten- und Pflegeheim Rosenhöhe: An drei runden Tischen warten gut 30 Bewohner auf ihre Portionen. Die meisten von ihnen sind schwer pflegebedürftig, können sich kaum mitteilen, wirken in sich gekehrt. Ein Mann zeichnet immerzu das gleiche Muster auf die Tischplatte, einem anderen rinnt Speichel aus dem Mundwinkel. Zwischen ihnen geht ein 16-jähriges Mädchen hin und her, trägt zusammen mit den Pflegerinnen einen Teller nach dem anderen zu den Menschen hin. Denn Hazal Akyol macht ein Freiwilliges Soziales Jahr. Die Schule hat sie mit der Mittleren Reife abgeschlossen und eine Ausbildungsstelle zur Pflege-Fachkraft im Erbacher Krankenhaus schon in der Tasche. Sie trägt Kopftuch, Longpulli, schwarze Hose - und stets ein Lächeln im Gesicht.
"Das sind Nudeln", erklärt sie einem alten Mann, während sie ihm seine Mahlzeit reicht. Es zählt zu Hazal Akyols Hauptaufgaben, in der Küche und der Essensausgabe zu helfen, dazwischen mit den Bewohnern zu basteln, sie am Nachmittag mit dem Rollstuhl spazieren zu fahren oder auch, ganz aktuell, die Räume weihnachtlich zu schmücken. Dass sie gläubige Muslima ist, scheint dafür kein Hinderungsgrund zu sein - selbst an den katholischen und evangelischen Andachten nimmt sie mit den Bewohnern teil und singt munter Weihnachtslieder. Dabei stammt sie aus einer Kultur, in der Senioren traditionell nicht im Heim leben: "Wir behalten die Alten bei uns und pflegen sie zu Hause", sagt sie, räumt aber auch ein: "Wenn man das nicht kann, muss man sie in eine Betreuung geben." Im Haus Rosenhöhe leben einige Personen mit Familienanschluss, die auch regelmäßig Besuch erhalten. Aber es gibt auch Bewohner ohne Verwandtschaft, andere wiederum haben den Kontakt zu ihren Angehörigen abgebrochen.
Wichtige Erfahrung für eine 16-jährige Jugendliche
Heutzutage ziehen die Menschen aber auch hier im Odenwald meist erst dann ins Heim, wenn es zu Hause gar nicht mehr geht und sie kaum noch alleine essen oder sich anziehen können, weiß Betreuungskraft Anja Wolf. Das habe mit der "neuen Pflegestufe" zu tun, die eine häusliche Unterbringung fördere. Das alles sind wichtige Erfahrungen für die 16-jährige Hazal, die sich schon vor zwei Jahren entschlossen hat, Krankenschwester zu werden. "Dazu will ich auch sehen, wie es in einem Heim ist."
Tja, wie ist es in einem Heim? Auf den ersten Blick wirkt das Haus Rosenhöhe noch ein bisschen wie das "Forsthotel Carnier", das es bis vor gut 20 Jahren einmal war: Draußen reiht sich ein Balkon an den anderen mit Blick ins grüne Tal, drinnen gibt es Zimmer mit Nummern daran, farbig gestrichene Flure und Aufenthaltsräume mit Lebkuchentellern auf den Tischen. Freilich, die Klientel ist heute eine andere, und so mancher Besucher stellt sich da die Frage, ob er selbst jemals an einem dieser Tische sitzen möchte - inmitten einer Gesellschaft, die kein Gespräch mehr hat. Oder kommuniziert man dort anders? Als redselig gilt ein 85-jähriger Mann, der einst Fahrlehrer war. Spontan erzählt er Witze. Einen nach dem anderen und allesamt nicht jugendfrei. Sein Tischnachbar lacht. Beide finden es gut, dass jetzt junge Leute im Pflegeteam sind. "Das kann nur von Vorteil sein", sagt der frühere Fahrlehrer, "ein Austausch von Jung und Alt ist immer positiv." Ein Grund, weshalb sich auch die aktuelle "Echo hilft!"-Aktion dem Thema Generationen widmet.
Hazal Akyol steht oft im Mittelpunkt des Interesses. "Die Leute fragen nach dem Kopftuch und wollen wissen, wo ich herkomme. Dabei komme ich aus Höchst", erklärt sie. Noch lieber ist es ihr, wenn die älteren Herrschaften etwas von sich erzählen. "Gerne reden sie von ihren Kindern und davon, wie sie früher die Feiertage zusammen verbracht haben, was es zu essen gab an Weihnachten, wie der Baum geschmückt war und die Engel daran aussahen." Auch gehe es viel um die Berufe der Bewohner. Die junge Frau spürt aber auch, dass die Senioren so gut wie nie über das sprechen, was sie wirklich bewegt. Ihr Inneres geben sie nicht preis. "Ich denke, manche Sachen erzählen sie nicht, weil es sie traurig macht", meint die Jugendliche. Einmal sagte eine Frau zu ihr, sie würde so gerne noch einmal tanzen. Sie saß dabei im Rollstuhl und wusste, dass dies nie wieder möglich sein wird. So etwas bewegt Hazal Akyol. "Die Arbeit hier ist bisweilen schwer", sagt sie und meint damit auch Situationen, "in denen man sehr konkret reden muss". Grundpflege-Tätigkeiten darf die 16-Jährige im Haus Rosenhöhe nicht ausüben. Doch auch mit ihren Handreichungen ist ihr Arbeitstag, der immerhin von 9 bis 17.30 Uhr dauert, gut gefüllt und wird mit 400 Euro monatlich vergütet. "Ihre Tätigkeit entspricht in etwa der einer Auszubildenden zu Beginn des ersten Lehrjahres oder davor", konkretisiert Anja Wolf.
Im Haus Rosenhöhe gibt es viel zu tun
"Manchmal haben wir hier drei oder vier Freiwillige gleichzeitig", erklärt die Betreuungskraft, denn es gibt genug zu tun im Haus Rosenhöhe, das mit 200 Bewohnern und ebenso vielen Mitarbeitern zu den größten im Odenwaldkreis zählt. Es unterhält auch einen geschlossenen Bereich für jüngere Bewohner, die mehrfach abhängig sind und dort wieder Stabilität im Leben aufbauen sollen. Hier haben die FSJ-ler aber nichts zu tun - sie sind für die alten Leute da.
Dass Hazal Akyol derzeit die einzige Freiwillige ist, hat vielleicht mit der etwas abgelegenen Lage hier zu tun. Bis nach Bad König sind es 500 Meter zu laufen - und dann steht man erst am Stadtrand. Gut hat man es, wenn man wie die 16-Jährige von der Mutter gebracht und abgeholt wird.
Die Freiwilligen sind begehrt. Deren Zahl im Odenwaldkreis schätzt Dagmar Emig-Mally, Hauptabteilungsleiterin Soziale Dienste im Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes, auf 300. Allein das DRK beschäftige hier 175 Personen und weitere 260 im Kreis Bergstraße. Somit ist das DRK Odenwaldkreis der viertgrößte Freiwilligendienstanbieter in Hessen, wo noch 34 weitere Anbieter von Freiwilligendiensten sitzen. Sie erreichen zehn Prozent aller Jugendlichen, die in Hessen einen Schulabschluss machen.
Eingesetzt sind die jungen Leute in ganz unterschiedlichen Einrichtungen, die als "gemeinwohlorientiert" gelten: in Schulen, bei der Feuerwehr, im Sport, in Alten- und Behinderteneinrichtungen, beim Rettungsdienst und auch in der Denkmalpflege, sagt Dagmar Emig-Mally. Die Altenpflege liege den Jugendlichen meist etwas ferner als andere Bereiche. Das ändere sich aber, wenn die jungen Leute erst einmal hineingeschnuppert hätten. So wie Hazal Akyol. Sie weiß jetzt nämlich ganz sicher, dass sie bei einem Pflegeberuf bleiben will.