Grün oder Grau: 58.000 Quadratmeter Grünland in der...

Foto: Guido Schiek
© Guido Schiek

Bad Königs Ambitionen für ein weiteres Gewerbegebiet stehen beispielhaft für eine wiederkehrende Konfliktlage.

Anzeige

BAD KÖNIG. Der Kopf ist voll, mal wieder viel zu viel nur gesessen, im Büro, im Auto, in der Mittagspause: Dieser Feierabend schreit nach einem Marsch ins Grüne. Also raus aus dem Kurstädtchen, los in Richtung Westen, die saftig grünen Mümlingauen entlang oder hinauf zur Höhe nach Kirchbrombach. Das tut einfach nur gut.

Noch. Und nur wenn man den Gedanken wegschiebt, dass einer dieser Flecken künftig mit Beton und Gewerbehallen verbaut werden soll. 58.000 Quadratmeter Grünland in der Mümlingaue westlich des Bad Königer Ortseinganges sollen zu Gewerbegebiet umgewandelt werden. So was kennen die Odenwälder aus mehreren Beispielen. Nicht neu sind ihnen auch die Argumente, mit denen der parteilose Bürgermeister Uwe Veith und eine breite Mehrheit im Stadtparlament ihr Vorhaben begründen: Die Gelegenheit, Anreiz für wirtschaftliche Betätigung und damit Aussichten auf Steuereinnahmen zu schaffen, sollte man tunlichst nutzen.

Infrage gestellt wird genau das vor allem von Naturschützern. Sie warnen unter anderem davor, den in Sachen geschützter Natur keineswegs reich gesegneten Odenwald weiter zu versiegeln. Und argumentieren mit dem noch gar nicht erwiesenen Nutzen einer Bereitstellung weiteren Gewerbelands. Schließlich gibt der Flächennutzungsplan eine Bebauung besagten Areals bereits seit 1999 her - das Interesse möglicher Bauherrn dümpelte jedoch fast zwei Jahrzehnte lang vor sich hin.

Anzeige

Einen ähnlich schleppenden Verlauf erlebte in der Nachbarschaft etwa die Stadt Erbach, deren Gewerbegebiet im Gräsig sich erst nach zehn Jahren zu füllen beginnt - und nicht unbedingt so, wie man sich das am Anfang vorstellte. Wie die Kreisstadt hat nun auch Bad König die auf Erschließung und Vermarktung von Flächen spezialisierte Hessische Landgesellschaft (HLG) eingeschaltet. Dieses Unternehmen gibt sich zuversichtlich, die Grundstücke verkaufen zu können - vorausgesetzt, die Flächen sind erschlossen. Für die nötigen Vorarbeiten wird der Dienstleister gegenüber der Stadt in Vorlage treten. "Wir haben Geduld. Das Projekt würde erst mal auf zehn Jahre angelegt, bei Bedarf könnten noch mal zehn Jahre angehängt werden", betont HLG-Projektleiter Jochen Jäger. Eines aber ist klar: "Gewinn und Risiko wird letztlich die Stadt tragen."

Die Gefahr für die ohnehin klamme Kommune, möglicherweise nicht vermarktete Grundstücke später zurückkaufen zu müssen, sieht Bürgermeister Veith aktuell weniger stark ausgeprägt: Er verweist auf "zwei bis drei ernsthafte Interessenten", die jeweils große Flächen bräuchten. "Damit wären mindestens vier Fünftel des projektierten Areals belegt." Die potenziellen Bauherren kommen demnach vor allem aus dem Bau- und Baunebengewerbe sowie dem produzierenden Gewerbe - und teilweise aus Bad König selbst. "Wir sollten nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen, als man angesichts einer blühenden Kur dem Gewerbe die kalte Schulter zeigte", sagt Veith. Zumindest eine Machbarkeitsstudie für das Vorhaben sei angezeigt - und darum gehe es in diesem ersten Schritt.

Besteht Aussicht auf Verwirklichung, folgt in einem zweiten Schritt der Bebauungsplan. Noch einmal abgewogen werden muss dann auch der spezielle Knackpunkt der Bad Königer Gewerbeland-Ambitionen: Gebaut würde unmittelbar neben einem Naturschutzgebiet, dem "Bruch von Bad König und Etzen-Gesäß". Zudem würden dann mit dem zur Verwertung vorgesehenen Gelände die bisher zur Kurstadt passende grüne Eingangs-Optik und ein Rest intakter Talaue geopfert. Naturschutz-Fachmann Werner König (Michelstadt) verweist dazu auf die ohnehin wenigen Naturschutzgebiete im Kreis, "die zudem alle klein und nicht vernetzt sind". Auch die Fachleute der Unteren Naturschutzbehörde im Erbacher Landratsamt halten mit Blick darauf Bedenken aufrecht.

Problematischer als Arten- und Naturschutz könnte indes sein, dass die umstrittene Fläche im Heilquellenschutzgebiet liegt. Die Pläne der Kurstadt stehen zudem den Bemühungen der Odenwälder Kommunalpolitik entgegen, die B 45 als wichtigste Nord-Süd-Verkehrsverbindung im Landkreis weiter zu ertüchtigen. "Die Pendler werden sich freuen, wenn der Verkehrsfluss bei Bad König ebenso reich mit Ampeln, Kreiseln und Tempolimits garniert ist wie anderswo", meint Hans Winter (Nieder-Kinzig), den viele Odenwälder auch als Heimatforscher und Denkmalschützer schätzen. Und bei Hessen Mobil, der Straßenbaubehörde des Landes, heißt es: "Unproblematisch ist das nicht."

Lieber das Ganze im Blick hat Landrat Frank Matiaske (SPD). Er möchte weg vom Klein-Klein, noch 2017 soll es zu einer bestmöglich abgestimmten, interkommunalen Zusammenarbeit in Sachen Gewerbegebiete kommen. Doch auch er weiß: "Wir werden keinen Quadratmeter neu beplanen, wo wir den Konflikt mit dem Naturschutz nicht haben."

Anzeige

Derweil wirbt Bad König weiter mit seinen Walking-Strecken und Wanderwegen. Zu Recht. Nur: Wenn es beim Kopf-Frei-Marschieren gen Westen erst mal ähnlich ausschaut wie im Süden des Städtchens, im Gewerbegebiet Zell, wird's mit der Erholung länger dauern. Natur gegen Steuereinnahmen und Arbeitsplätze: ein Match, bei dem es keine richtigen Gewinner gibt.