Meine Woche: Busfahren in Mainz und vertane Chancen

Paul Lassay, Lokalredaktion Mainz.  Foto: VRM
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Der erste Monat mit dem 9-Euro-Ticket hat deutlich mehr Leute verschreckt als ÖPNV-Fans hervorgebracht. Die Hintergründe des Mainzer Mobilitätsproblems ordnet Paul Lassay ein.

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MAINZ. Als das 9-Euro-Ticket vor einem Monat startete, war die Aufregung groß. Was würde passieren, nun da das Fahren in Bus und Bahn fast zum Nulltarif möglich war? Würde die Mainzer Mobilität viele neue Fahrgäste gewinnen können, die den ÖPNV nun kennen- und idealerweise schätzen lernen würden? Würde man neue Erkenntnisse darüber gewinnen, was bei der Einführung eines 365-Euro-Tickets oder anderer Varianten kostengünstiger Tickets zu erwarten und zu beachten wäre? Angesichts des großen vom Bund finanzierten Experiments, das das 9-Euro-Ticket bedeutet, schienen Festwochen des ÖPNV anzustehen. Doch es schien eben nur so. Denn einen Monat später muss man feststellen, dass diese Riesenchance bislang ziemlich vertan wurde. Denn viele Menschen wurden davon abgeschreckt, auf Bus oder Bahn umzusteigen. Und auch mit dem Erkenntnisgewinn scheint es nicht weit her zu sein.

Die abschreckende Wirkung wurde vor allem durch den Ausfall zahlreicher Busfahrten erreicht, ohne dass die Fahrgäste darüber irgendwelche Informationen erhielten. Und es steht zu befürchten, dass jemand, der einmal ohne jegliche Informationen an der Haltestelle stehengelassen wurde - womöglich auch noch mitten in der Nacht - sich für längere Zeit nicht mehr auf den ÖPNV wird verlassen wollen. Vertrauen ist schwer zu gewinnen, aber sehr einfach zu verlieren. Und es waren in den vergangenen Wochen nicht einzelne Leute, die mal auf einen oder zwei Busse gewartet haben, die niemals kamen, sondern ziemlich viele, wie auch die Nachrichten zeigen, die unsere Redaktion erreicht haben.

Der Hackerangriff spielt noch immer eine Rolle

Dass dies ausgerechnet während des 9-Euro-Experiments passiert, ist maximal unglücklich und kontraproduktiv. Die Mainzer Mobilität trägt nicht die alleinige Schuld daran, schließlich spielt der Hackerangriff eine große Rolle bei den Problemen. Die Systeme des Unternehmens sind immer noch beeinträchtigt, und die Kommunikation mit den Fahrern ist sehr schwierig. Und nun kommt auch noch eine Corona-Welle dazu. Doch die Mainzer Mobilität hat die Situation dadurch selbst erschwert, dass sie sich lange weigerte, der Öffentlichkeit und ihren Fahrgästen zu erklären, welche Probleme durch den Angriff auf die IT entstanden sind. Stattdessen mauerte das Unternehmen, versteckte sich hinter Formulierungen, aus denen kein Außenstehender schlau werden konnte und behauptete, "einzelne Fahrten" könnten betroffen sein.

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Inwieweit der Hacker-Angriff auch die Möglichkeiten einschränkt, aus dem Experiment 9-Euro-Ticket zu lernen, ist nicht ganz klar. Doch hätte man erwartet, dass die Mainzer Mobilität die Chancen beim Schopfe ergreift, die diese drei Monate bieten, um möglichst viele Erkenntnisse zu sammeln. Wo und wann steigt die Nachfrage? Wer steigt um, wenn der Preis sinkt? Die Reihe der Fragen ließe sich lange fortsetzen. Allein, auf Nachfrage schien es nicht so, als ob die Vorbereitungen getroffen worden wären, ihnen auf den Grund zu gehen.

Von Von Paul Lassay