Kohlgraf: „Ich trage die Verantwortung für dieses Bistum”
Beim Dialog zur Missbrauchsstudie im Erbacher Hof konnten Besucher der Bistumsleitung Fragen stellen. Dabei wurde der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf sehr deutlich.
Mainz. Was passiert mit den Pfarrern, die des Missbrauchs beschuldigt werden? Wie will das Bistum es schaffen, auch in den Gemeinden das Vertrauen wieder herzustellen, wenn über Jahre Betroffenen nicht geglaubt wurde? Es sind trotz der über 1000 Seiten der EVV-Studie („Erfahren, Verstehen, Vorsorgen“) noch unzählige Fragen, die offen bleiben. Auch bei der Bistumsspitze. Die Ergebnisse der Missbrauchsstudie des Bistums Mainz treiben die Menschen um – nicht nur die, die direkt betroffen sind, sondern auch viele andere; insbesondere Menschen, die sich im kirchlichen Umfeld ehrenamtlich engagieren. Zur Mainzer Dialogveranstaltung, zu der das Bistum in den Erbacher Hof geladen hatte, kamen etwa 50 Gäste – zusätzlich zu Mitarbeitern des Bistums, der Caritas und anderer involvierter Einrichtungen.
Video: Bischof Peter Kohlgraf im Interview
Für Bischof Peter Kohlgraf ist klar: „Wir wollen mit der Studie den Blick in die Zukunft richten, eine andere Art der Kommunikation und des Miteinanders finden.“ Er selbst erlebe es, dass er von Menschen in der Stadt angesprochen werde, die ihm erzählen, dass auch sie etwas wussten. „Irgendwo ist ein Wissen vorhanden, das viele beschäftigt.“ Das war auch im Erbacher Hof zu spüren. Gemeinsam mit der Bevollmächtigten des Generalvikars, Stephanie Rieth, und Generalvikar Weihbischof Udo Markus Bentz stellte er sich den Fragen und Anmerkungen der Besucher.
Bischof Kohlgraf: „Das Tateingeständnis ist oft nicht da“
Und alle drei betonten mehrfach: „Wir müssen den Menschen gerecht werden, die es betrifft.“ „Mit Entschuldigungen und Betroffenheitsbekundungen ist es nicht mehr getan“, so Kohlgraf. Dabei gebe es auch eine Verantwortung der Täter. Diese sollten zum „Genesungsprozess“ der Opfer beitragen, meinte ein Besucher. „Das Tateingeständnis ist oft nicht da“, erklärte Bischof Kohlgraf. Und ein „Anrecht auf Vergebung“ habe ein Täter nicht. Zudem, so Bentz, müsse man respektieren, wenn die Betroffenen nie wieder mit der Kirche in Kontakt treten, geschweige denn je wieder etwas vom Täter hören oder sehen wollten. Dennoch sei für das Bistum klar, dass die Anerkennungsleistungen, die die Betroffenen erhielten, auch von den Tätern eingefordert werden müssten.
Mit Entschuldigungen und Betroffenheitsbekundungen ist es nicht mehr getan.

Ein Zuschauer hatte die Zahlen der Studie auf die vergangenen Jahre heruntergerechnet und kam zum Schluss, dass das ja dann im Schnitt „nur“ zweieinhalb Betroffene pro Jahr im Bistum Mainz seien; die Kirche dürfe das Missbrauchsthema nicht zu ihrem alleinigen Problem machen, es gebe auch andere Bereiche, wo Missbrauch passiere. Zudem zeige die Studie, dass nur ein geringer Teil der Taten juristisch verfolgt worden sei. Aussagen, die Bischof Peter Kohlgraf fast aus der Fassung brachten. „Je schwerwiegender das Vergehen, desto länger braucht es, bis die Menschen sich melden“, sagte er.
„Diese Rechnung führt uns nicht weiter.“ Das Dunkelfeld sei riesig, von zweieinhalb Fällen pro Jahr könne keine Rede sein. „Diese Rechnung mache ich nicht mit. Und wenn es zweieinhalb Fälle pro Jahr waren, dann waren es zweieinhalb zu viel.“ Die geringe Rate an Strafverfolgungen liege zudem einzig und allein daran, dass die Beschuldigten, die oft jetzt erst von den Betroffenen gemeldet werden, inzwischen tot seien oder die Fälle verjährt seien. Im zweiteren Fall, so ergänzte Stephanie Rieth, werde das Bistum nun kirchenrechtliche Konsequenzen erarbeiten. Mit Nachdruck betonte Kohlgraf, seine Verantwortung wahrnehmen zu wollen – unabhängig davon, wo in der Gesellschaft es ebenfalls Fälle gebe. „Ich trage die Verantwortung für dieses Bistum und nicht für einen Sportverein oder einen Tanzclub.“
Diese Rechnung mache ich nicht mit. Und wenn es zweieinhalb Fälle pro Jahr waren, dann waren es zweieinhalb zu viel.

Auch Bentz betonte, dass die Bistumsleitung sich der Verantwortung stelle – selbstverständlich auch für Dinge, die möglicherweise bereits in den 70er Jahren passiert sind.
Aber auch die Strukturen in den Pfarreien, die es in den vergangenen Jahrzehnten vielerorts unmöglich gemacht haben, dass Missbrauch gemeldet und geahndet werden konnte, müssten neu aufgestellt werden. „Wie schaffen wie Möglichkeiten, wie ich mich hierarchiekritisch äußern kann?“, stellte Bentz eine Frage, die die Bistumsleitung beschäftige, in den Raum. Hier wolle die Spitze der Diözese Vorbild sein, am eigenen Beispiel zeigen, dass Verantwortung geteilt werden könne und müsse, so Bentz mit Blick auf Stephanie Rieth. Eine Aufgabe, die mit der Studie einhergehe, sei es, „eine Erinnerungskultur zu schaffen, die uns zukunftsfähig macht“, so Kohlgraf. „Dabei geht es nicht darum, die Grabplatte aus dem Dom zu holen.“