
Ein Fußballspiel als Zeichen für den Frieden: Die besondere Benefiz-Begegnung am Bruchweg sorgt bei manchem Beteiligten für einen emotionalen Ausnahmezustand.
Mainz. Am Ende eines emotionalen Nachmittags liegen sich Andrej Voronin und Vitaly Koshelenko in den Armen. Dem 74-fachen Nationalspieler der Ukraine fehlen in diesem Augenblick die Worte. Was sagt man einem Mann, mit dem man gerade ein bisschen Fußball gespielt hat und von dem man weiß, dass er in wenigen Tagen an die Front zurückkehren wird, um in diesem „unsäglichen, katastrophalen Krieg“ das gemeinsame Heimatland zu verteidigen. „Diesen Jungs“, sagt Voronin, „kannst du nur danken und ein wenig Kraft geben.“ Der frühere Fußballprofi flüstert dem Frontsoldaten ein „Danke“ ins Ohr. Der Frontsoldat strahlt sein Fußballidol an, bittet ihn um ein Selfie. Voronin kommen fast die Tränen, „weil kein Mensch weiß, ob er die nächsten Tage und Wochen überlebt. Ich hoffe es sehr. Und ich wünsche mir noch mehr, dass dieser Krieg bald vorbei ist.“
„Ein Zeichen setzen, dass der Krieg noch nicht zu Ende ist“
Dieser Nachmittag im Mainzer Bruchwegstadion ist für Sven Hieronymus „ein einziger emotionaler Overkill“. In manchen Momenten muss sich der Initiator dieses besonderen Fußballspiels zwischen der Traditionsmannschaft des Fußball-Bundesligisten Mainz 05 und der ukrainischen FC Avantgarde Smijiw selbst kurz sortieren, weil das Gefühlschaos ihn überfordert. Genauso wie dieser Krieg, der ihn rund um die Uhr begleitet, seitdem er den Bodenheimer Verein „Nicht reden. Machen!“ ins Leben gerufen hat, um die Menschen in der Ukraine zu unterstützen, die unter den miltitärischen Angriffen Russlands leiden. „Wir wollten mit dieser Veranstaltung ein Zeichen setzen, die Leute daran erinnern, dass der Krieg noch nicht vorbei ist“, sagt Hieronymus, „wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen. Wir müssen weitermachen.“
2000 Menschen – und seine Freunde aus der Unterhaltungsbranche wie Oliver Mager, Lars Reichow, Dobbelbock, die Schnorreswackler, Lother Pohl und Ralf Baitinger – sind seinem Ruf ins Bruchwegstadion gefolgt. Die meisten Besucher offensichtlich mit ukrainischen Wurzeln, die auf der Haupttribüne für ein blau-gelbes Fahnenmeer sorgen, beim Auftritt des ukrainischen Musikstars Serhii Babkin (u.a. Juror bei „The Voice“) lautstark und textsicher mitsingen und jedes Tor des Teams aus der Nähe von Charkiw enthuasiastisch bejubeln. Dass die 05-Traditionself 4:3 gewinnt – geschenkt. Es geht um so viel mehr.
Findet auch Innenminister Michael Ebling, der Sven Hieronymus mit König Midas vergleicht: „Was er in dieser Sache anfasst, wird zu Gold. Ich finde sein Engagement herausragend und solche Veranstaltungen braucht es, um den Menschen zu verinnerlichen, dass es nie so sein darf, dass man sich an einen solchen Zustand gewöhnt. Das darf nie normal werden – und es erfordert Haltung. Dieser Krieg ist ein Angriff auf unsere Werte und unsere Demokratie.“ Das unterschreibt Lars Reichow sofort: „Der Krieg geht uns alle was an. Unsere Betroffenheit ist fundamental, weil uns der Krieg sonst noch Jahre beschäftigen wird, wenn wir nicht reagieren. Aber wir überlassen unseren europäischen Kontinent nicht den Autokraten. Wir unterstützen die Ukraine, damit wir endlich wieder in Frieden leben können.“
Nach der Rückreise geht es für Ukraine-Trio direkt an die Front
Wie wichtig aber dieser Ausbruch aus dem Alltag ist, verdeutlicht der Aufwand, den die 18 Fußballer aus der Ukraine auf sich genommen haben. Zunächst einmal war bis Mitte der Woche nicht klar, dass sie überhaupt ausreisen durften. Erst eine Sondergenehmigung, von oberster Stelle abgenickt, machte die 48-Stunden-Reise möglich. Mit dem Zug von Charkiw nach Kiew und weiter nach Lwiw. Ab Lwiw ging es weiter mit dem Bus nach Mainz. Das alles freilich mehr als für 60 Minuten Fußball. „Wir sind überwältigt und unendlich dankbar für die Unterstützung, die wir seit einem Jahr bekommen“, sagt Frontsoldat Vitaly Koshelenko, „wir werden weiter kämpfen und wir werden gewinnen. Und ich freue mich schon auf den Moment, wenn Mainz 05 im Frieden nach Charkiw kommt.“
Als Dank überreicht er Stefan Hofmann den Orden der ukrainischen Streitkräfte, den der 05-Präsident gerne an Sven Hieronymus weiterreicht: „Dir gebührt diese Auszeichnung.“ 1018 Paletten hat der Verein „Nicht reden. Machen!“ in die Ukraine versandt, die Spenden aus dem Bruchweg-Spiel gehen direkt an die bewährten Anlaufstellen vor Ort. „Heute war‘s ein voller Erfolg“, sagt Hieronymus und auch wenn er am Ende eines emotionalen Tages gesteht, „dass ich jetzt erst mal fix und fertig bin“, sieht er keinen Grund, sich zurückzulehnen. „Wir machen weiter!“ Für die ukrainische Gäste geht es wieder zurück. 48 Stunden mit Bus und Bahn. Koshelenko und zwei seiner Mitspieler werden gegen Ende der neuen Woche an die Front zurückkehren. So surreal. So real.