Das Leben als Bademeister: Um 6.30 Uhr ist Arbeitsbeginn

Das Freibad in Herborn ist für Ralf Hermann in diesem Sommer das zweite Wohnzimmer. Von der Stadt Herborn ist der 55-Jährige, der eigentlich als Schwimmtrainer tätig ist, gefragt worden, ob er als Bademeister aushelfen könne. Auch im alten Dillkreis ist der Personalmangel ein Problem.  Foto: Timo König
© Timo König

Bademeister werden händeringend gesucht, auch im alten Dillkreis. Warum will keiner mehr den Beruf ausüben? Ein Blick hinter die Kulissen des Freibads in Herborn.

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HERBORN. Den ganzen Sommer an der frischen Luft im Freibad zu verbringen, der Herrscher über eine große Spielwiese zu sein und so viel Wassereis und Pommes zu essen, wie man möchte: Bei dieser Vorstellung ist es kein Wunder, dass sich viele Kinder wünschen, später einmal Bademeister zu werden. Doch je älter sie werden, desto häufiger verschwindet der "Traumberuf" von der Liste. Was neben dem vermeintlichen Spaßfaktor tatsächlich alles zum Job dazugehört, zeigt der Blick hinter die Kulissen des Freibads in Herborn.

Das Freibad in Herborn ist für Ralf Hermann in diesem Sommer das zweite Wohnzimmer. Von der Stadt Herborn ist der 55-Jährige, der eigentlich als Schwimmtrainer tätig ist, gefragt worden, ob er als Bademeister aushelfen könne. Auch im alten Dillkreis ist der Personalmangel ein Problem.  Foto: Timo König
Auch das gehört zu den Aufgaben eines Bademeisters: der regelmäßige Besuch im Technikraum.  Foto: Timo König
Der Blick von oben: das Freibad in Herborn. Dort gibt es viel Platz auf der Wiese. Foto: Timo König
Alles im Blick: Bademeister Ralf Hermann vor einer sommerlichen Bilderbuchkulisse. Foto: Timo König

Vergnügen auf der einen, Arbeit auf der anderen Seite

Für Bademeister Ralf Hermann beginnt hier der Arbeitstag um 6.30 Uhr. Wie fast immer mit einem Rundgang über das gesamte Gelände, das sich unweit der Autobahn A 45 befindet. Es folgt die akribische Begutachtung und Reinigung des Schwimmbeckens, ehe es für Hermann weiter in den Technikraum geht. Hier werden, um die Bäderhygiene und die Wasserqualität zu gewährleisten, unter anderem die Alkalität, also das Säurebindungsvermögen des Wassers, sowie Chlor- und pH-Werte geprüft und feinsäuberlich in einer Liste dokumentiert. Mehrmals pro Tag. "Früher", erinnert sich der 55-Jährige, "als es noch keine offizielle Ausbildung gab, war es deshalb üblich, dass der Bademeister einen technischen Beruf gelernt hat". So sei es beispielsweise bei seinem Vater - einem gelernten Werkzeugmacher - gewesen, der 25 Jahre lang als Bademeister und Betriebsleiter eines Hallenbads im Einsatz war.

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Pünktlich um 9 Uhr werden die Tore des Schwimmbads geöffnet, vor denen bereits die ersten Badegäste sehnsüchtig warten. Während auf der einen Seite nun das Badevergnügen beginnen kann, fängt auf der anderen der Arbeitstag so richtig an. Bis die Unterstützung kommt, hat Hermann die alleinige Verantwortung für Dutzende Menschen. Menschen, denen er im Ernstfall das Leben retten muss. "Natürlich hoffen wir immer, dass es soweit nicht kommt", sagt er, während er über die Monitore in seiner Kabine die Becken überwacht. Brenzlige Situation gebe es immer wieder, seien glücklicherweise jedoch eher die Ausnahme.

An diesem Tag ist die Anzahl der Gäste überschaubar. Temperaturen unter 25 Grad und ein Mix aus Sonne und Wolken sorgen dafür, dass bis in die Mittagsstunden nur rund 50 hart gesottene Schwimmer vorbeikommen. Anders als beim Rekordsamstag vor zwei Wochen, als das Herborner Freibad bei weit mehr als 1000 Badegästen nahezu aus allen Nähten platzte. "Dann ist es umso wichtiger, dass wir als Team funktionieren", erklärt Hermann. Sein Kollege Benjamin Müllenbrock, der an diesem Tag die Spätschicht leitet und seinen Dienst soeben angetreten hat, ergänzt: "An solchen Tagen steht man dauerhaft unter Adrenalin". Die Gefahr lauert fast überall - schließlich ist das Herborner Freibad mit einer großen Rutsche sowie zwei Sprungtürmen ausgestattet.

"Wer die Frühschicht übernimmt, der muss an heißen Tagen immer damit rechnen, dass er länger als geplant arbeiten muss."

Bademeister Ralf Hermann

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Hart arbeiten und Doppel-Schichten bei mehr als 35 Grad schieben, während sich andere vergnügen - im Leben eines Bademeisters sind diese Szenarien völlig normal. "Wer die Frühschicht übernimmt", betont Hermann, "der muss an heißen Tagen immer damit rechnen, dass er länger als geplant arbeiten muss". Hinzu komme die regelmäßige Pflege der Grünanlage, für die die Bademeister außerhalb der Öffnungszeiten ebenso zuständig sind. "Deshalb", sagt Müllenbrock, "sollte man sich vorab gut überlegen, ob man für den Job geeignet ist oder nicht".

Anders als der 36-Jährige, der inzwischen fast sein halbes Leben als Bademeister im Einsatz ist, ist Ralf Hermann ein Neuling. Aus der Not heraus. "Die Stadt hat mich angefragt, weil sie sonst keinen mehr hatte", verrät er. Kein Einzelfall - viele Bäder in Deutschland mussten den Betrieb wegen Personalnot in den vergangenen Jahren sogar einstellen. Fachangestellte für Bäderbetriebe, wie die offizielle Bezeichnung des Bademeisters lautet, oder Rettungsschwimmer werden auch in Herborn und im gesamten alten Dillkreis händeringend gesucht.

Gelbe Karten ohne Rückennummer

Ein klassischer Quereinsteiger ist Hermann allerdings nicht. Spätestens seit dem Jahr 1995 und dem Erfolg der damals 15-jährigen Schwimmerin Julia Jung aus Dillenburg, die damals bei den Deutschen Meisterschaften einer gewissen Franziska von Almsick die Show stahl, hat sich Hermann als Schwimmtrainer einen Namen gemacht. Im Jugendalter hat er selbst an Wettkämpfen teilgenommen, und noch heute ist der ehemalige Post-Beamte als Trainer in mehreren Vereinen und Verbänden tätig. Um die Bademeister-Erlaubnis zu bekommen, hat er nach vielen Jahrzehnten nun sein DLRG-Rettungsschwimmerabzeichen auffrischen müssen.

Der Blick von oben: das Freibad in Herborn. Dort gibt es viel Platz auf der Wiese. Foto: Timo König
Der Blick von oben: das Freibad in Herborn. Dort gibt es viel Platz auf der Wiese.
© Timo König

Am Beckenrand sieht er sich als eine Art Fußball-Schiedsrichter. "Wenn sich jemand nicht an die Regeln hält, dann gebe ich ihm sozusagen die Gelbe Karte", erklärt er. "Das Problem ist allerdings, dass ich hier, im Gegensatz zum Fußball, keine Rückennummern notieren kann". Ein Umstand, der das Leben des Bademeisters insbesondere an Tagen mit viel Betrieb erschwert. "Zwei Jugendliche habe ich in diesem Jahr schon rausgeworfen. Wenn es gar nicht anders geht, verteile ich zur Not auch Kollektivstrafen", erklärt der 55-Jährige seine Taktik. Benjamin Müllenbrock hat insgesamt den Eindruck, dass das Verhalten der Kinder und Jugendlichen immer schlechter wird. "Der Respekt uns gegenüber hat in den letzten Jahren sehr stark nachgelassen", so der 36-Jährige.

Attraktivität für den Job muss verbessert werden

Doch es gibt auch die andere Seite. Insbesondere das Verhältnis zu den vielen, meist älteren Stammgästen sei sehr positiv. "Hier bei uns ist alles sehr familiär", sagt Müllenbrock. Zum Geburtstag habe er sogar schon Kuchen mitgebracht bekommen. "Dann macht das Arbeiten natürlich auch gleich mehr Spaß."

Eine obere Altersgrenze - wie etwa im Profifußball für Schiedsrichter - gibt es für Bademeister übrigens nicht. Vielmehr hat jeder die Möglichkeit, seine Rettungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Diese wird in der Regel alle zwei Jahre geprüft.

Um die Zukunft sämtlicher Freibäder zu sichern, müssen sich die Rahmenbedingungen für den Beruf des Bademeisters verbessern, meint Müllenbrock, der bei der Stadt Herborn angestellt ist und in den Wintermonaten, wenn das Freibad geschlossen ist, auch auf dem Bauhof aushilft. "Es wäre für uns alle eine enorme Entlastung, wenn wir mehr Personal hätten und nicht immer sozusagen den ganzen Sommer auf Abruf arbeiten müssten", betont Müllenbrock. Um die Attraktivität zu erhöhen, müsse zudem dringend die Bezahlung optimiert werden, sagen die beiden Bademeister unisono. Den ganzen Tag an der frischen Luft im Freibad zu sein, der Herrscher über eine große Spielwiese zu sein und vermeintlich so viel Wassereis und Pommes zu essen, wie man möchte, ist dabei nur ein kleiner Trost.