Long-Covid-Erkrankte tauschen sich in Breitscheid aus

aus Coronavirus-Pandemie

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Renate, Michaela und Alexandra hatten Covid-19 – und eigentlich haben sie es noch immer. Für sie ist die Selbsthilfegruppe Breitscheid eine wichtige Anlaufstation, um mit Gleichgesinnten über die Krankheit zu reden. Foto: Nicole Dietermann

In Breitscheid treffen sich seit einem halben Jahr Erkrankte in einer Selbsthilfegruppe. Was für Folgen hat eine bleibende Corona-Erkrankung für diese Menschen?

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Breitscheid. Eine Tragikomödie aus dem Jahr 2014 mit Dieter Hallervorden, bei der es um Alzheimer geht, trägt den Titel „Honig im Kopf“. Nach dem Besuch einer Selbsthilfegruppe mit Long-Covid-Betroffenen in Breitscheid könnte man eine Fortsetzung mit dem Titel „Nebel im Kopf“ drehen.

Long Covid ist in unserer Gesellschaft noch nicht richtig angekommen. Deshalb ist es den Betroffenen wichtig, sich untereinander auszutauschen. Eine Plattform dafür bietet eine seit einem halben Jahr in der Ergotherapie-Praxis von Nicole Dietermann in Breitscheid aktive Selbsthilfegruppe. Ein Besuch bei einer Gesprächsrunde der von Nicole Dietermann, Renate, Michaela und Alexandra gegründeten Gruppe zeigt mit regelmäßigem Kopfnicken, dass sich die Teilnehmer in die Gefühlslage der anderen hineinversetzen können.

„Seit mehr als zwei Jahren leiden sie unter den Folgen der Infektion. Und darunter, dass sie manchmal immer noch hören, sie sollten sich nicht so anstellen, jeder habe doch mal einen schlechten Tag. Darunter, dass niemand über die Spätfolgen der Corona-Infektion redet, dass sie stigmatisiert werden. Und darunter, dass ihnen niemand helfen kann. Aber sie wollen reden, sie wollen professionelle Hilfe und sie wollen wissen, wie es weitergeht“, heißt es in einer Pressemitteilung der Selbsthilfegruppe.

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Es gibt insgesamt 200 Langzeitfolgen

Nicole Dietermann erhofft sich durch die Runde, die sich immer am ersten Donnerstag eines Monates in ihrer Praxis in der Schönbacher Straße 15 in Breitscheid trifft, dass die Betroffenen in der Gruppe ihre Erfahrungen mitteilen und sich nicht alleine gelassen fühlen. Die Zusammenkünfte sollen helfen, die wegen der Krankheit im Umgang mit anderen gemachten schlechten Erfahrungen zu verarbeiten.

Dietermann nennt vier der insgesamt rund 200 Langzeitfolgen, mit denen gleich alle Teilnehmer der inzwischen anerkannten Erkrankung zu kämpfen haben: Chronische Erschöpfung (Fatique), Schmerzen (teilweise in den Gelenken bis hin zu Schmerzen im ganzen Körper), neurologische Störungen und eine den Heilungsprozess negativ beeinflussende depressive Verstimmung.

Der Kopf sagt, das geht – der Körper sagt, das geht gar nicht.

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Renate Trappschuh Long-Covid-Betroffene

Und sie reden. Renate leidet seit 17 Monaten an Covid. Sie spricht von einem steilen Abgang und davon, dass sie Stück für Stück nach oben klettert. Sie beschreibt ihre eigene Erfahrung: „Der Kopf sagt, das geht – der Körper sagt, das geht gar nicht.“ Für ihre Familie sei das Leben seit 17 Monaten aufgrund fehlenden Geschmackssinns eine „kulinarische Abenteuerreise“ – das nimmt uns die Lebensqualität“. Ihr ist wichtig, dass man in einem Kreis sei, „wo jeder weiß, worüber man redet“. Die Mitbegründerin der Selbsthilfegruppe macht aber auch klar: „Wir haben kein Rezept, wie man gut damit leben kann – das hat auch kein Arzt oder die Berliner Charité.“

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Die Berufstätige war 14 Tage in Quarantäne, hat dann drei Tage gearbeitet, um festzustellen: „Da stimmt was nicht.“ Sie hat sich auf das neue Leben, in dem ihr Körperakku nur noch 50 Prozent eines gesunden Menschen hat („Das sieht aber keiner“), eingestellt: „Ich bin heute so weit, dass ich meinen Alltag gestalten kann. Ab 16 Uhr hat sich der Tag erledigt, manchmal schon ab 11 Uhr. Ich mache gewissen Sachen nur freitags, denn samstags und sonntags habe ich Zeit zur Regeneration.“ Vorher sei ihr Akku voll gewesen und sie habe fünf Sachen gleichzeitig gemacht.

Renate zeigt in der Gruppe an einer symbolischen Akkuladung, wie es Long-Covid-Betroffenen geht. Pacing bedeutet, schonend mit seinen Kräften umzugehen und zu erkennen, wo die eigenen Grenzen liegen.
Renate zeigt in der Gruppe an einer symbolischen Akkuladung, wie es Long-Covid-Betroffenen geht. Pacing bedeutet, schonend mit seinen Kräften umzugehen und zu erkennen, wo die eigenen Grenzen liegen. (© Christoph Weber)

Sie bleibt bei dem Beispiel Akku: „Wenn ich was tue, dann sinkt der Akku. In der Pause steigt der Akku normal – unser Akku steigt aber nicht mehr bei Pausen.“ Bevor die letzten Prozente auch noch weg seien, mache sie vor dem Erreichen der Belastungsgrenze eine Pause. Sie blickt aber optimistisch nach vorne: „Den vollen Akku kann man wieder erreichen, aber es wird dauern.“ Jeder müsse einen Weg für sich selbst finden: „17 Stunden Schlaf heißt nicht, dass ich ausgeschlafen bin. Ich ziehe zwei Aktivitäten am Tag durch, dann ist Feierabend. Für mich gibt es ein Leben nach Plan – und der muss funktionieren.“

Michaela gehörte zu den ersten Corona-Opfern. Sie hatte sich im März 2020 auf der Arbeit infiziert. Sie ist dann schnell wieder in ihren Job zurückgekehrt. Doch dies war augenscheinlich zu früh. „Nach zwei Wochen hatte ich beim Treppensteigen Atemnot. Ich habe das noch durchgezogen bis zum Urlaub, seitdem bin ich zu Hause.“ Sie lasse sich nicht hängen, aber sie trage ihre Krankheit nicht nach außen. „Da können wir reden und müssen nicht viel erklären“, sagt sie. In der Gruppe müsse man niemandem begreiflich machen, dass es an manchen Tagen sogar zu anstrengend sei, überhaupt aus dem Bett zu kommen, geschweige denn, etwas im Haushalt zu machen oder arbeiten zu gehen.

Eine seit Januar vergangenen Jahres Betroffene spricht von kognitiven Störungen: „Deshalb rede ich nicht gerne, denn ganz normale Worte sind nicht vorhanden.“ Sie spricht bei sich von einem „Nebel im Kopf“. Durch Geruchs- und Geschmacksstörungen „schmeckte alles nach Pappe“. Sofern sie sich überhaupt an die einfachen Gerichte erinnern könne. Sie habe sich über jede Kleinigkeit des Geschmacks gefreut. Ihr Leben sei derzeit ein Auf und Ab. Auch sie hat Ängste, denkt aber auch positiv: „Ich bin zufrieden, weil ich noch lebe und nicht auf Intensiv gelandet bin.“ Auch sei es für sie eine Leistung, „das alles zu erzählen“. Auch sie sieht die fehlende Akzeptanz bei ihrem privaten Umfeld: „Die glauben das nicht – irgendwann ist man ruhig.“

Eine weitere Besucherin der Selbsthilfegruppe hatte bis Anfang dieses Jahres kein Covid. Die Probleme begannen 14 Tage nach der vierten Impfung, was Renate einen Impfschaden vermuten lässt. Es habe mit neurologischen Störungen und Taubheitsgefühlen begonnen. Ab April betrafen ihre Probleme ebenfalls den Geschmack: „Erst schmeckte alles nach Salz, dann alles nach Kartoffelpüree ohne Salz.“ Ihr Rezept: „Ich tu‘ mir immer Zwiebel aufs Essen.“ Ihre Einschätzung, „es geht nicht mehr weg“, wird von allen Seiten durch energisches Nicken bestätigt.