Rüsselsheim zählt so viele Einwohner wie nie zuvor – Tendenz steigend. Dem Ansturm an Wohnungssuchenden ist kaum in der Geschwindigkeit zu begegnen, wie es notwendig wäre....
RÜSSELSHEIM. Rüsselsheim wächst unaufhaltsam. Mehr als 63.500 Einwohner zählt die Stadt, so viele wie nie zuvor in der Stadtgeschichte – Tendenz weiter steigend. Das gesamte Rhein-Main-Gebiet wächst. Aber diesem regelrechten Ansturm an Wohnungssuchenden ist kaum in der Geschwindigkeit zu begegnen, wie es notwendig wäre. „Wir haben keine Zeit, was aufzuschieben. Alle Flächen, die für Wohnungsbauunternehmen interessant sind, müssen angegangen werden“, sagt der künftige Oberbürgermeister Udo Bausch (unabhängig), der ab Montag im Amt ist.
Denn zum einen gingen einer Stadt sonst Einnahmen verloren. Zum anderen verteuerten sich die Projekte angesichts des Baubooms rasch um erhebliche Summen. Das müsse dann der Kunde zahlen. Bausch sieht vor allem junge Familien und staugeplagte Pendler als potenzielle Neubürger für Rüsselsheim. Aber schnelle Entscheidungen werden in Rüsselsheim oftmals vermisst. Beispiel „Quartier am Ostpark“ an der Großsporthalle. Dort könnten längst Bagger rollen, wenn es keinen politischen Dissens über die Art der Bebauung gegeben hätte und man sich früher für einen städtebaulichen Wettbewerb entschieden hätte.
Potential in Königstädten
Größtes Beispiel, bei dem schon seit Längerem Geduld gefragt ist: die Eselswiese. Im Osten Bauschheims soll auf rund 60 Hektar ein Wohn- und Gewerbegebiet entstehen. Mit etwa 3000 bis 4000 Bewohnern wird dort gerechnet – im Stadtteil wohnen bisher rund 6100 Menschen. Es ist aktuell die größte Baulandfläche in Rüsselsheim, sofern die Politik nicht entscheidet, weitere Flächen anzugehen. Die Bauverbotszonen, bedingt durch den Fluglärm, lassen Rüsselsheim zwar keine unendlichen Wachstumsmöglichkeiten.
Aber gerade in Königstädten wäre laut Landesentwicklungsplan noch einiges machbar. Bevor neue große Gebiete erschlossen werden, muss jedoch erst einmal die Eselswiese umgesetzt werden. Wegen der Größe des Areals war eine europaweite Ausschreibung für die Vergabe der Entwicklungsträgerschaft notwendig. Zudem gab es eine juristische Auseinandersetzung, was schon jetzt für mehrmonatige Verzögerungen sorgt.
Mehr als 2300 Interessenten auf der Warteliste
Der künftige OB Bausch richtet sein Augenmerk aber nicht nur auf Neubaugebiete. Vielmehr müsse an den gewachsenen Standorten die Struktur analysiert werden. Es gebe seiner Beobachtung nach viele Immobilien, die leer stehen. „Da muss man sich überlegen, wie man als Stadt helfen kann, den Markt quasi wach zu küssen.“ Als attraktiv erachtet Bausch wegen der Bahnhofsnähe auch das Wohnen in der Innenstadt. Dass durch den ebenfalls mehrheitlich politisch gewollten städtebaulichen Wettbewerb für das ehemalige Karstadtgebäude auch hier wertvolle Zeit ungenutzt verstreicht, kritisiert der neue Rathauschef zwar nicht offen. Aber Verständnis hat er dafür nicht: „Wir haben keine Zeit, da noch Jahre zu diskutieren.“
Die Innenstadt als Wohnstandort – hier engagiert sich seit geraumer Zeit auch die Gewobau, mit mehr als 6500 Wohnungen der größte Vermieter in der Stadt. Für 2018 steht als größtes Projekt der städtischen Wohnbaugesellschaft die Bebauung von frei geräumten Grundstücken an Frankfurter und Taunusstraße an. Rund 70 Wohnungen sollen dort ab Frühjahr entstehen. Für rund 140 weitere Wohnungen im Stadtgebiet, die vor allem durch Nachverdichtung, Aufstockungen oder Abriss und Neubau entstehen – wie beispielsweise in der Brandenburger Straße – erfolgt bereits die Umsetzung oder es gibt konkrete Pläne. Diesen Bemühungen stehen mehr als 2300 Mietinteressenten auf der Warteliste gegenüber.
„Wir haben definitiv Wohnungsknappheit"
Noch mehr Projekte anzugehen, sei durchaus Wunsch, sagt Gewobau-Geschäftsführer Torsten Regenstein. Daher erstellt die Gewobau aktuell einen Wohnbauentwicklungsplan zusammen mit Fachplanern und Studenten, um konkrete Maßnahmen auf den vorhandenen Grundstücken bis 2030 zu entwickeln. Denn die Suche nach Arealen mit marktadäquaten Preisen sei bisher nicht erfolgreich gewesen, angeboten bekommen habe man von privater Seite auch nichts, sagt Regenstein. „Wir stoßen bei der Verfügbarkeit von Grundstücken gegenwärtig an unsere Grenzen.“ Die Stadt als Mehrheitsgesellschafterin hatte jüngst immer wieder Grundstücke übertragen, um Bauvorhaben zu ermöglichen. Aber auch das ist endlich. Uwe Menges, Vorstand der Rüsselsheimer Baugenossenschaft, fordert, dass gerade das Land seine großen Flächen stärker in die Vermarktung bringe. Dann würde der Druck, der auf dem gesamten Rhein-Main-Gebiet laste, geringer.
Die Baugenossenschaft, die 1079 Wohnungen in der Stadt besitzt, verfüge selbst über keinerlei Grundstücke mehr, habe schon – wo möglich – Aufstockungen oder Ergänzungsbauten ausgereizt. Nur kleinere Projekte, durch die etwa 30 neue Wohnungen entstehen, sollen 2018 begonnen werden. 450 Personen aller Ziel- und Altersgruppen stehen auf der Warteliste, darunter immer mehr anerkannte Flüchtlinge, wie Menges berichtet. Neue Grundstücke zu erwerben sei eigentlich aussichtslos. „Wir konkurrieren mit Bauträgern, denen egal ist, was das Grundstück kostet. Da können wir nicht mithalten, um den Mietpreis normal zu halten.“ Daher wünscht er sich, dass bei der Bebauung von beispielsweise „Quartier am Ostpark“ und Eselswiese auch genossenschaftliche und kommunale Gesellschaften berücksichtigt würden. Und auch er kritisiert die langen Verfahren: „Wir haben definitiv Wohnungsknappheit. Ich wäre froh, wenn es schneller geht.“
Von Alexandra Groth