Schüler der Klasse 10e der Riedstädter Martin-Niemöller-Schule spenden Stolperstein für den in Hadamar ermordeten Jugendlichen.
Von Dirk Winter
Die Zehntklässler wollen die Erinnerung an Max Kahn wach halten. Der Stolperstein liegt vor dem Gebäude an der Erfelder Bahnstraße 3 – dem letzten Wohnort der Familie.
(Foto: Vollformat/Robert Heiler)
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ERFELDEN - „Hier wohnte Max Kahn, Jahrgang 1924, ermordet 7.2.1941“: Eine Messingplatte auf einem zehn Kubikzentimeter großen Pflasterstein enthält unter anderem diese Gravur. Es ist ein „Stolperstein gegen das Vergessen“, ein Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig.
Eingelassen wurde der Betonquader im Bürgersteig vor dem Gebäude in der Erfelder Bahnstraße 3 – dem letzten frei gewählten Wohnort der Kahns. Für weitere Mitglieder der Familie Isaak und Paula Kahn, die 1936 vor den antijüdischen Repressalien im Nazi-Deutschland nach Nashville (USA) floh, sind dort im Oktober 2018 bereits solche Erinnerungssteine verlegt worden.
Jener für Max folgte erst jetzt, weil damals noch nicht all seine Lebensdaten vorlagen. Er wurde nur 16 Jahre alt. Der behinderte Junge musste sterben, weil er den Nationalsozialisten in ihrem Rassenwahn als „lebensunwert“ galt. Geistig Behinderte und psychisch Kranke wurde der „Gnadentod gewährt“, wie es Hitler in einer Tötungsermächtigung verharmloste. Auch Max Kahn geriet in dieses „Euthanasie“-Programm. Also wurde er nach Aufenthalten in Heimen und der sogenannten Zwischenanstalt Weilmünster nach Hadamar transportiert, um dort in der Gaskammer der Tötungsanstalt umgebracht zu werden.
Schüler der Klasse 10e der Riedstädter Martin-Niemöller-Schule (MNS) haben nicht nur seine Biografie recherchiert, sondern auch die 120 Euro kostende Patenschaft für den Stolperstein übernommen. Die Gedenkveranstaltung umrahmte MNS-Musiklehrer Reiner Schuchmann mit Klezmermusik.
Die Klasse 10e machte deutlich, wie sehr Nazi-Schergen ihre späteren Opfer zu entmenschlichen suchten. Aus Menschen wurden Nummern, mit Filzstift auf den Körper geschrieben. Von Wert waren ihren Henkern nur noch Goldzähne, die den Leichen herausgebrochen wurden. MNS-Schulleiter Martin Buhl sagte: „Das Schicksal von Max und allen anderen Opfern der MS-Diktatur muss uns auch heute Mahnung sein, dass jeder Mensch das Recht auf Leben und Angenommensein hat. Und das vollkommen unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Religion, Beeinträchtigungen oder Besonderheiten.“ Buhl sieht jeden in der heutigen Gesellschaft gefordert, achtsam zu sein, dass dieses Recht gewahrt bleibt. Und deshalb sprach er sich ausdrücklich gegen rechtspopulistische Positionen aus, die „Menschenrechte und damit unsere offene, freiheitliche Demokratie“ infrage stellen. Die Geschichte von Max Kahn und der Stolperstein, der an ihn erinnert, solle unter anderem eines vor Augen führen: Dass sich die Barbarei der Nazi-Herrschaft niemals wiederholen dürfe. Dies sei eine gesellschaftliche Verantwortung.
„Erinnerung soll wachsam halten, das ist auch eine Aufgabe der Schule“, sagte Erster Stadtrat Albrecht Ecker (SPD). Deshalb freue es ihn besonders, dass sich die Klasse 10e im Unterricht mit der Thematik beschäftigt habe. Dazu gehörte auch ein Besuch der Gedenkstätte Hadamar, wo 15 000 Menschen den Euthanasie-Verbrechen der Nazis zum Opfer fielen.
Am Projekt „Stolpersteine“ beteiligt sich Riedstadt seit 2012, wie Ecker ausführte. Die Organisation und Koordination habe die Stadt dem Förderverein jüdische Geschichte und Kultur im Kreis Groß-Gerau übertragen. „Mit den Stolpersteinen bekommt die Erinnerungskultur ein ganz neue Qualität“, sagte Ecker: „Sie sind da, wo Menschen jeden Tag unterwegs sind, und meistens mitten in der Stadt.“