Belastetes Wasser aus dem Landgraben gelangt in benachbarte Wasserläufe wie den Kühbruchgraben bei Büttelborn. Bauern sind erzürnt über Vorwürfe wegen der Chemikalie Dikegulac.
Von Daniel Baczyk
Redaktion Südhessen
Engstelle: An den Bruchwiesen bei Büttelborn berühren sich Landgraben (links) und Kühbruchgraben fast.Bei Hochwasser fließt auch belastetes Wasser hinüber.
(Foto: Vollformat / Alexander Heimann)
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KREIS GROSS-GERAU - Reiher fliegen auf. Störche staksen über den lehmigen, tief durchfeuchteten Boden. Die Schwarzerlen stehen hier dicht genug, um auch ohne Blätterdach eine Dämmerlicht-Atmosphäre zu erzeugen. Dunkle Wolken und Sprühregen tragen das ihre dazu bei. Das verbleibende Tageslicht wird von zwei Wasseradern reflektiert, die sich an dieser Stelle fast berühren, ehe ihre Windungen wieder auseinanderlaufen.
Schauplatz ist das Naturschutzgebiet der Bruchwiesen bei Büttelborn. Die Fließgewässer sind der von Darmstadt kommende Landgraben und der beschaulichere Kühbruchgraben, der die Bruchwiesen und Felder südlich von Büttelborn entwässert.
Hier gibt es keine hohen Ufer, die Bachläufe sind gegenüber ihrer ebenen Umgebung nur um wenige Handbreit abgesenkt. Das kann zum Problem werden. Denn was der eine Bach an unerwünschten Substanzen mit sich bringt, das erreicht fast zwangsläufig auch seinen Nachbarn.
Engstelle: An den Bruchwiesen bei Büttelborn berühren sich Landgraben (links) und Kühbruchgraben fast.Bei Hochwasser fließt auch belastetes Wasser hinüber. Foto: Vollformat / Alexander Heimann
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Der Weg ins Grundwasser
Dass der Landgraben auch Giftstoffe aus dem Raum Darmstadt – etwa aus der Pharmafabrik Merck – mitführte, daran ist Ende 2018 wieder erinnert worden, als ein Wallerstädter Bio-Bauer in seinem Gemüse Rückstände von Dikegulac fand. Die Chemikalie stammt nach bisherigem Kenntnisstand aus der Merck-Produktion und ist mit der Zeit über den Landgraben ins Grundwasser gelangt. Viele Bauern der Region beregnen mithilfe von Grundwasserbrunnen ihre Felder.
Aber nicht nur aus dem Landgraben versickert Wasser mitsamt abgelagerten Substanzen in tiefere Erdschichten. An Stellen wie den Bruchwiesen findet auch ein Austausch mit anderen Gewässern statt: Darauf weist ein Büttelborner hin, der namentlich nicht genannt werden will.
DIKEGULAC
Die Chemikalie Dikegulac ist im Ried nach bisherigem Kenntnisstand als Abfallprodukt einer 1999 eingestellten Vitamin-C-Produktion bei Merck in den Landgraben und vermutlich auch ins Grundwasser gelangt. Die Substanz wirkt auch als Wachstumshemmer bei Pflanzen, ist aber als Pflanzenschutzmittel in der EU seit 2002 nicht mehr zugelassen. In Deutschland durfte sie zeitweilig bei Zierpflanzen unter Glas verwendet werden. (db)
Es braucht nur wenig Hochwasser nach starken Regenfällen, und der Landgraben tritt über seine schwach ausgeprägten Ufer. Davon zeugen einzelne, offensichtlich angeschwemmte Plastikreste zwischen den Bäumen. Die Verbindung zum wenige Meter entfernten Kühbruchgraben ist dann sofort hergestellt.
Weiter nördlich, knapp außerhalb der Bütteborner Bebauung, mündet der Kühbruchgraben in den Landgraben. Der dortige Schieber sei nach seiner Kenntnis immer offen, sagt der Anwohner: „Bei hohem Wasser drückt der Landgraben Wasser entgegengesetzt der Flussrichtung in den Kühbruchgraben.“ Dessen Bachsohle sei mutmaßlich weniger dicht als die des Landgrabens, somit bestehe direkter Zugang zum Grundwasser. Ein Teil des Kühbruchgraben-Wassers wird per Düker unter dem Landgraben Richtung Rhein geleitet.
„Der Kühbruchgraben“, mutmaßt der Büttelborner, „könnte der Grund sein für die Belastung der Dornheimer Brunnen mit Dikegulac.“
Die Nachricht von der Belastung mit der Chemikalie empfinden die dürre-gebeutelten Landwirte als zusätzlichen Nackenschlag. Zumal sie sich ungerecht beschuldigt fühlen. Dikegulac sei kein Pflanzenschutzmittel, betonte Willi Billau, Vorsitzender des Regionalbauernverbands Starkenburg, bei der Eröffnung der Landwirtschaftlichen Woche in Gernsheim. „Hier die Bauern mit in Verbindung zu bringen, ist gemein.“
An den üblen Gestank am Landgraben und dem gesamten Schwarzbachsystem im Ried, an wiederholte Fischsterben und eine beängstigende Grünverfärbung im Jahr 1962 infolge eines Unfalls bei Merck erinnern sich viele Kreisbewohner noch.
Geowissenschaftler der TU Darmstadt hatten zu Beginn der 2000-er Jahre erforscht, welche Sanierungsmöglichkeiten für den belasteten Landgraben bestehen. Eine ihrer Empfehlungen lautete: „Verhinderung von Überschwemmungen und damit Eingrenzung der Gefährdung auf den direkten Bachbereich.“ So sollten Dämme und Spundwände in Bereichen mit geringer Uferhöhe geschaffen werden. Tatsächlich gibt es Spundwände am Landgraben in den Bruchwiesen – doch nur an einzelnen Stellen. Wenige Meter weiter kann das Wasser ungehindert über die Ufer treten.
Die Wissenschaftler raten außerdem, eine Ausbaggerung belasteter Bachsedimente zu prüfen. Allerdings merken sie an: „Jede Ausbaggerung führt unweigerlich zu verstärkter Infiltration und Erosion.“ Sie warnen auch vor der Zerstörung der sumpfigen Ufer durch schwere Baumaschinen.
Diesen Gegenargumenten ist die Politik bislang gefolgt, zumal die Ausbaggerung und Entsorgung des belasteten Erdreichs als Sondermüll viel Geld kosten würde. Das hessische Umweltministerium will jetzt, wie berichtet, das Wasser von rund 100 Beregnungsbrunnen im Ried auf Dikegulac-Rückstände untersuchen. Die Probenentnahme soll nach Angaben des Ministeriums in diesen Tagen beginnen.