Aufgabe mit viel Empathie

Barbara Seelbach ist eine von sieben Alltagsbegleitern für Demenzkranke im Altenheim an der Fasanerie. Ohne diese Helfer könnten viele Angebote nicht gestemmt werden.

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GROSS-GERAU. Es sind erst wenige Monate, dass die alte Dame im Beschützenden Bereich des Altenpflegeheims An der Fasanerie lebt. Doch ihre Erinnerung kennt weder Jahre noch Wochen oder Tage: Sie ist über 80 Jahre alt und demenzkrank. An diesem Morgen steht sie mit ihrer Reisetasche unruhig im Flur.

„Wann kommt endlich der Zug?“, fragt sie. Barbara Seelbach legt den Arm um ihre Schultern, führt sie zum Esstisch: „Setzen Sie sich doch. Der Zug fährt noch nicht“, sagt sie beruhigend. In Wahrheit freilich wird kein Zug kommen und die Reise, die die alte Dame antreten will, ist wie ein Erinnerungsfetzen ohne Realitätsbezug ins Heute aufgestiegen.

„Auf die Wahrnehmung der Bewohner einzugehen, sie nicht zu korrigieren, sie nicht unnötig zu verunsichern, ist wichtig“, sagt Alltagsbegleiterin Barbara Seelbach. Sie spricht der alten Dame freundlich zu, lenkt sanft aufs Thema Wegzehrung und dann zum Kuchenbacken über, das heute ein Beschäftigungsangebot ist. Kurz darauf beobachtet die Frau selbstvergessen, wie Schüsseln und Backzutaten auf den Tisch kommen.

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Neben Pflege- und Sozialdienstkräften sind im Altenpflegeheim an der Fasanerie sieben Alltagsbegleiterinnen beschäftigt. Sie sind qualifiziert, doch ein therapeutischer oder pflegerischer Berufsabschluss ist nicht vorausgesetzt.

„Ohne die Alltagsbegleiterinnen wären viele wichtige Angebote nicht umsetzbar“, betont Sozialdienstleiterin Nadine Meister den Wert der Betreuungsassistenz. „Backe, backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen“, stimmt jetzt eine Arbeitskollegin von Barbara Seelbach das altes Kinderlied an, während sie Backzutaten verrührt. Die alten Menschen am Tisch kennen den Liedtext genau: „...wer will guten Kuchen backen, der muss haben sieben Sachen.“ Auch die Dame, die eben noch auf Reise gehen wollte, singt mit. Die Zugfahrt ist vergessen.

Seit 2011 arbeitet Barbara Seelbach im Beschützenden Bereich mit den 30 Bewohnern, die graduell unterschiedlich an Demenz leiden. Sie sagt: „Ich war Gärtnerin, doch 2010 hörte ich von der Möglichkeit einer mehrmonatigen Qualifikation zur Alltagsbegleiterin und ich wusste: Das ist mein Ding. Ich habe ein gutes Gefühl für alte Menschen. Aber seit ich bei der Mission Leben bin, hat sich für mich viel verändert. Ich habe gelernt, Demenzkranke wertzuschätzen. Ich wusste nicht, welcher Schatz in ihnen wohnt.“

Die Bewohner des Beschützenden Bereichs nämlich leben ganz im Augenblick, der nicht immer der tatsächlichen Gegenwart entspricht. Sie handeln und reagieren emotional unmittelbar: Nicht nur Leid, auch Glück ist möglich. Seelbach: „Ich brauche eine hohe Präsenz, stelle mich auf die Befindlichkeit der Einzelnen ein. Mit sensiblen Angeboten aktivieren wir Erinnerung und Sprachschatz – beim Backen, Singen, Basteln, Vorlesen oder beim Abendgebet und auch bei sanfter Stimulation etwa durch Düfte.“

Als jetzt der Ehemann einer Bewohnerin zu Besuch kommt, lächelt er beruhigt: „Ich konnte die Pflege meiner Frau allein nicht mehr stemmen. Ich war erschöpft. Hier hat sie es gut, hat Beschäftigung. Und ich habe in der Nähe eine Wohnung, kann immer vorbeikommen. Das ist mir wichtig“, sagt er. Barbara Seelbach erklärt, dass es für sie als Alltagsbegleiterin von Bedeutung sei, ein Vertrauensverhältnis zu den Angehörigen aufzubauen. „Sie müssen oft großen Druck von außen aushalten, bekommen Vorwürfe zu hören, sie hätten ihre Eltern oder Partner ins Heim abgeschoben. Wer so spricht, weiß nicht, was es heißt, einen demenziell Erkrankten rund um die Uhr zu betreuen.“