Zuhörer erleben den Tod des Vaters mit

Anette Welp trägt in poetischer Sprache Passagen aus ihrem Hörbuch „Kunst²: Blick durch die Tür“ vor, begleitet von Susanne Landskron am Klavier.

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GUSTAVSBURG. (hele). „Was bleibt, ist die Seele“, so lautet der erste Satz der Erzählung und auch der nahezu letzte. Zur Lesung „Kunst²: Blick durch die Tür“ von Anette Welp mit Musik von Susanne Landskron hatte die Villa Herrmann in Kooperation mit dem Hospizverein Mainspitze eingeladen. Mal nach einer Passage, mal gleichzeitig setzt Landskron am E-Piano passend ein. Ein Gesamtkunstwerk, das hauptsächlich in der Aufführung zum Leben erwacht.

In poetischer Sprache ruhig vorgetragen, erlebt der Zuhörer den Tod des Vaters von Anette Welp aus der Nähe mit, wobei man erst später erfährt, dass es um den Vater ging. In der Story heißt er „Mein Mensch“, und die Erzählung selbst trägt den Titel „Mein Mensch stirbt.“ Keine leichte Kost, doch sicher tröstlich für die, die gerade trauern. Nur wird jedem im Publikum klar, das könnte auch meine Geschichte sein, es könnte auch „mein Mensch“ sein. Es könnten meine Gedanken sein, die Anette Welp hier preisgibt als ein sehr persönliches Statement und einen schonungslosen Einblick in das, was tagtäglich auf der Welt und auch in jedem persönlichen engerem Kreis geschieht und doch so gern tabuisiert wird.

Der Prosatext nach Tagebucheintragungen beginnt mit der Entscheidung, den sterbenden Menschen zu begleiten, doch merkte die Autorin bald, dass sie „eine sehr romantische Vorstellung“ von Sterbebegleitung hatte, die in der Wirklichkeit nicht existiert. „Jedes Sterben hat seine eigene Geschichte“, sagt sie. Anette Welp spricht vom Wandel, den sie selbst durchlebte, von der Trauer, der Schwierigkeit, die jeweiligen Stationen und Situationen zu ertragen, vom körperlichen Verfall, der an jedem Tag zu beobachten ist, und dass das Sterben am Ende doch so lange dauert. Ab wann reden wir offen über den Tod, was ist mit mir, welche Dinge will ich unbedingt in meinem Leben noch tun? All das kommt zur Sprache. Und wandelt sich nach und nach in eine Leichtigkeit mit dem Tod als Tor zu einem neuen Bewusstsein in Liebe und ohne körperliche Beschwerden.

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Diese Erzählung, kreative Arbeit und Bekenntnis, ist das Ergebnis des persönlichen und beruflichen Werdegangs der Autorin. Seit Anfang 2015 bietet sie eine Literarische Werkstatt an. Nach dem Motto „Schreiben befreit und beflügelt“ geht es in erster Linie um das Schreiben für einen selbst, zur Selbstanalyse, Selbsterkenntnis und Selbsterfahrung. „Kreatives Arbeiten mit Poesie aktiviert die Selbstheilungskräfte“, sagt Welp, „weil mithilfe kreativer Poesie Impulse gesetzt werden, die Ungesehenes oder auch Unverdautes an die Oberfläche holen können.“ Eine Ausbildung in Systemischer Beratung folgte.

Die Klaviermusik, die durch die Erzählung inspiriert und von Susanne Landskron eigens hierfür komponiert wurde, gibt dem Zuhörer immer wieder Raum, das eben Gehörte zu reflektieren und wirken zu lassen. Diese Musik kommt von Herzen, berührt die Seele, spendet Trost und schenkt Harmonie und Zuversicht. Genial, wie Landskron die jeweilige Stimmung aufgreift und vertont. So sind 36 kurze Stücke entstanden, die sich jeweils auf die gehörten Textpassagen beziehen.