Die Büttelborner Kinderhilfe Gomel arbeitet seit 25 Jahren erfolgreich. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr mangelt es an Gasteltern, sodass nur zwölf Kinder eingeladen werden können.
BÜTTELBORN. Den 26. April 1986 werden viele Menschen nie vergessen. An diesem Tag explodierte der Reaktor 4 im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl an der Grenze zu Weißrussland. Der kaum für möglich gehaltene Super-GAU mit unkontrolliert austretender Radioaktivität trat ein, die Wolke des Radionuklids Cäsium 137 verteilte sich über Europa. Besonders stark war die Region um die weißrussische Stadt Gomel betroffen. „Dort wurde die radioaktive Wolke abgeschossen, damit sie nicht nach Moskau zog“, berichtet Marina Frank.
Die stellvertretende Vorsitzende des Vereins Kinderhilfe Gomel war dabei, als sich 1994 um Carmen Passet, der damaligen Leiterin der Büttelborner Pestalozzischule, und ihre Kollegin Hanne Lüdeling Menschen zusammenfanden, die Kindern in der stark strahlenbelasteten Stadt einen Erholungsaufenthalt in unbelasteter Luft und mit gesunden Lebensmitteln ermöglichen wollten.
Der Verein finanziert sich aus Privat- und Firmenspenden
Seitdem sind 25 Jahre vergangen, und aus der ursprünglich als Arbeitskreis gegründeten Kinderhilfe Gomel ist 2008 ein 33 Mitglieder zählender Verein geworden. Mit Unterstützung vieler Gasteltern konnten sich im Laufe des Vierteljahrhunderts 730 bedürftige Kinder aus zwei Schulen jeweils zwei bis drei Wochen zunächst im Jugendheim Maria Einsiedel in Gernsheim und danach bei den Gastfamilien in Büttelborn und Umgebung erholen. Bereits 1995 konnten die ersten 23 Kinder nach Büttelborn reisen. „Wir hatten damals zwei Mädchen und haben über die Jahre auch immer wieder Kinder privat eingeladen“, erzählt Marina Frank, die heute Lehrerinnen bei sich beherbergt. Die Vereinsvorsitzende, die in der Sowjetunion geborene Margarete Krasusky, betätigt sich seit dieser Zeit bei den Besuchen als Dolmetscherin.
In diesem Jahr ist die Vorfreude der ein Dutzend aktiven Mitstreiter im Verein jedoch getrübt, denn bislang haben sich nur wenige Gastfamilien gemeldet, sodass Krasusky für den geplanten Besuch vom 8. bis 25. August nur zwölf Kindern zusagen konnte, obwohl 30 Jungen und Mädchen zwischen zehn und elf Jahren aus der Schule Nummer 38 gerne nach Deutschland kommen wollen. Während die Zahl der Kinder stets zwischen 20 und 30 lag, ist dies ausgerechnet im Jubiläumsjahr der Tiefpunkt. Weshalb sich trotz Veröffentlichungen in Zeitungen und sozialen Netzwerken nur so wenige Gasteltern finden ließen, können sich Krasusky, Frank und die neue stellvertretende Vorsitzende Dorothea Scheele nicht erklären.
Dass etliche Stamm-Gasteltern inzwischen ein fortgeschrittenes Alter erreicht haben, ist für Marina Frank ein Grund. Sie appelliert daher an junge Familien, sich noch für ein Gastkind zu entscheiden. „Ohne Gasteltern können wir einpacken“, betont Frank. Durch den Erholungsaufenthalt werde das Immunsystem der Kinder gestärkt und sie würden physisch und auch psychisch stabilisiert, so Margarete Krasusky.
„Die Kinder erzählen noch Jahre von ihren Erlebnissen in Büttelborn und auch die Elternhäuser profitieren davon“, weiß Krasusky. Einmal im Jahr reisen einige Vereinsmitglieder nach Gomel, um einen Elternabend zu organisieren und mit einem Fragebogen die familiären Verhältnisse in Erfahrung zu bringen. Alle Kinder kämen aus sozial schwachen Familien, seien aber nicht krank, betont die Vorsitzende. Die Gruppe sei kranken, -unfall- und haftpflichtversichert und mittels eines Übersetzungsprogramms und einer eigens zusammengestellten Fibel klappe die Kommunikation gut. Die Jungen und Mädchen werden diesmal mit dem Flugzeug anreisen und tagsüber im Café Extra betreut, wo sie auch die von Gastwirten gesponserten Mittagessen einnehmen. Der Verein finanziert sich aus Privat- und Firmenspenden, der Teilnahme an Weihnachtsmärkten und dem Marktfrühstück in Groß-Gerau. Verkauft werden von einer als „Perlhühner“ bezeichneten Gruppe selbst hergestellte Schmuckobjekte. Darüber hinaus häkelt Marina Frank eifrig Kuscheltiere und Margit Funk stellt jährlich etwa 1000 Gläser selbst gekochte Marmelade zum Verkauf zur Verfügung.
„Dass wir das jedes Jahr durchziehen, ist schon etwas Besonderes“, sagt Marina Frank. Bundesweit gebe es zwar noch mehrere Initiativen, die Kinder einladen, aber dann nur in Jugendherbergen und nicht regelmäßig. Was passiert, wenn sich wirklich kaum noch Gasteltern finden lassen? „Aufgeben ist für uns keine Option, weil unser Herz daran hängt“, ist sich Marina Frank mit ihren beiden Vorstandskolleginnen einig.
Von Marvi Mensch