Der Kampfmittelräumdienst konnte den Sprengkörper beseitigen. Ein mögliches „Worst-Case-Szenario“ ist nicht eingetroffen und die Bewohner können wieder zurück in Ihre Häuser.
BISCHOFSHEIM. Um kurz vor 16 Uhr konnten die Verantwortlichen der Gemeinde Bischofsheim beruhigt aufatmen. Der Kampfmittelräumdienst hatte zu diesem Zeitpunkt erfolgreich eine 250 Kilogramm schwere Weltkriegsbombe, die am Montagabend in einem Gewerbegebiet bei Bischofsheim gefunden wurde, kontrolliert sprengen können. „Es fällt schon Anspannung ab“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Schneider, der als Erster Beigeordneter der Gemeinde Bischofsheim dem Krisenstab beiwohnte. „Die Nacht war kurz, der Tag war lang und die Möglichkeiten gestaltend einzuwirken für mich nicht groß“, resümiert er die vergangenen Stunden.
Umso besser, so Schneider, dass man sich auf den Katastrophenschutz in der Main-Spitze verlassen könne. Zwar habe der einen Krater hinterlassen, das sei aber zu verschmerzen, merkte der Erste Beigeordnete scherzhaft an.
Und der Kampfmittelräumdienst hatte keineswegs leichtes Spiel. Die Bombe sei ein besonders fragiles Objekt mit Chemiezünder gewesen, erklärt Schneider. Sie konnte nicht getragen und weggebracht werden, um sie an einem sicheren Ort zu sprengen, führt er aus.
Für die kontrollierte Sprengung wurde ein Sprengsatz an der Bombe angebracht. Zum Schutz 1000 Kubikmeter Sand auf die Bombe geschüttet, sodass ein Berg in Höhe von sechs Metern entstand. Zudem wurden Gräben und ein Schutz aus Stahl errichtet, ergänzt ein Sprecher des Regierungspräsidiums Darmstadt (RP) auf Nachfrage dieser Zeitung. Die Vorarbeiten dazu liefen bereits seit Montagnacht.
Große Bedenken gab es wegen des benachbarten Umspannwerks, das für das Rhein-Main-Gebiet ein wichtiger Stromlieferant ist und über drei Millionen Haushalte versorgt, so Schneider. Zudem liegen etwa 15 Meter weiter zwei wichtige Gasleitung, die nicht abgeschaltet werden können. Denn neben großen Industrieanlagen würden darüber auch zwei Kraftwerke gespeist werden, erklärt Schneider. Die Leitungen wurden mit Stahlplatten geschützt. Wäre die Sprengung nicht gelungen, hätte das Rhein-Main-Gebiet im schlimmsten Fall keinen Strom und kein Gas mehr haben können. Doch der Netzbetreiber gab kurz nach der Sprengung vorerst Entwarnung. Es schien nichts beschädigt worden zu sein, so Schneider.
Der Schutz der Anwohner stand am Dienstagmorgen jedoch an erster Stelle. Um kein Risiko einzugehen, wurde eine Evakuierungszone von einem Kilometer rund um den Fundort ausgewiesen. Rund 3500 Menschen in Bischofsheim und vor allem in Rüsselsheim mussten deshalb ihre Häuser verlassen. Schon ab 6 Uhr am Dienstagmorgen wurden die Zufahrten nach Bischofsheim und Rüsselsheim abgesperrt. Besonders beim Gewerbegebiet Schindberg, in dessen Nähe die Bombe gefunden wurde, hat das in den Morgenstunden für ein großes Chaos gesorgt, weil Anlieferer nicht in das Gebiet fahren konnten. In Bischofsheim waren ein paar Hundert Bürger von der Evakuierung betroffen – Geschäfte im Gewerbegebiet mussten geschlossen bleiben. In Rüsselsheim mussten über 3000 Menschen, besonders aus der Böllenseesiedlung, aus der Sicherheitszone gebracht werden.
Gegen 8 Uhr war die Evakuierung in Rüsselsheim bereits im vollen Gange. Neben der Müllabfuhr waren um diese Uhrzeit nur noch vereinzelt Einwohner auf der Straße zu finden. Rettungskräfte und Polizei gingen von Haus zu Haus und forderten die Bürger auf, ihre Häuser und Wohnungen zu verlassen. „Ich bin bei Kaufland beschäftigt und erhielt einen Anruf meiner Tochter, die von Blaulicht und den Durchsagen der Polizei geweckt wurde, besorgt war und nicht wusste, was sie tun sollte“, sagte Kadriye Güzel. Die vierfache Mutter wurde vom Arbeitgeber umgehend nach Hause geschickt, von wo aus sie sich mit ihren Kindern auf den Weg zu ihrer in Nauheim lebenden Schwägerin machen wollte.
Pflegebedürftige werden in umliegende Kliniken oder Altenheime gebracht und dort versorgt.
Auch Andrea Gorzny verfolgte zunächst die Lage vom Fenster aus. Dass die Polizei informiert habe, habe auch sie mitbekommen, so die Frau, die zunächst bei ihrer Schwiegermutter unterkommen wollte. Zu Fuß machte sich indes eine Gruppe Studenten auf, die in einer WG in der B-Siedlung leben. „Wir haben es auf Facebook mitbekommen und wollen zunächst mal in die Sophie-Opel-Schule, wissen aber nicht, wo genau das ist“, berichtete die Gruppe, die dort auf einen heißen Kaffee hoffte.
An der Betreuungsstelle, der Sophie-Opel-Schule war bereits seit 6 Uhr ein Team, bestehend aus Hilfsorganisationen und städtischen Bediensteten der Fachbereiche Sport- und Ehrenamt und Gebäudewirtschaft vor Ort, um die Evakuierten zu empfangen. Insgesamt sind dort 115 Personen aufgenommen worden, bestätigt die Stadtverwaltung am Dienstag.
Dass auch Corona eine Rolle spielte, war bei der Unterbringung der Evakuierten klar, die nach Krankheitssymptomen gefragt und gegebenenfalls isoliert untergebracht wurden. „Gewählt als Aufenthaltsort für die Bürger wurde das Gebäude D, die Sporthalle wurde umfunktioniert zu einer improvisierten Mensa, in der die Menschen auch später warmes Essen erhalten können“, berichtete Petra Neumüller, die in enger Abstimmung mit dem Krisenstab der Gemeinde Bischofsheim, des Kreises Groß-Gerau und der Stadt Rüsselsheim tätig war.
Die rund 30-köpfige Gruppe von Betreuungskindern, die sich in der Schillerschule befand, wurde indes in der Hasengrundschule untergebracht. „Wir rechnen mit allem“, sagte Petra Neumüller. Um den sicheren Ablauf, was die Evakuierung von Pflegebedürftigen betraf, zeigten sich die Rettungsdienste verantwortlich. „Pflegebedürftige werden in umliegende Kliniken oder Altenheime gebracht und dort versorgt“, berichtete Björn Zarges, organisatorischer Leiter des Rettungsdienstes des Kreises Groß-Gerau über den Ablauf. Dass die betroffenen Bürger sich bereits am Morgen in der Sophie-Opel-Schule gut informiert und aufgehoben fühlten, wurde gleich mehrfach bestätigt. „Ich wurde von der Polizei geweckt und war erst mal erschrocken“, berichtete eine 35-jährige Frau, die „Am Ehlenberg“ lebt und einzig Nervennahrung in Form von Süßigkeiten und Zigaretten in die Tasche stopfte, bevor sie die Wohnung verließ. Gemeinsam mit ihrer Nachbarin und deren kleinen Sohn begab sich eine weitere Dame aus der gleichen Straße in die Sophie-Opel-Schule und wählte angesichts der Aufregung lieber den Bus, als das Auto. „Es ist doch schon sehr aufregend“, sagte die 62-Jährige.
Auch der Automobilhersteller Opel war von der Sprengung betroffen. Einem Unternehmenssprecher zufolge seien 2500 Mitarbeiter aus allen Gebäude des Fahrzeugzusammenbaus evakuiert worden, inklusive des Presswerkes. „Die Frühschicht wurde vorzeitig beendet, die Spätschicht abgesagt“, heißt es.
Am Ende ist also alles gut verlaufen. Um kurz vor 17Uhr konnten die Bewohner wieder zurück in ihre Wohnungen. Das es aber auch ganz anders hätte laufen können, deutet Schneider im Gespräch am Dienstag an. Denn die Spezialisten vom Kampfmittelräumdienst hätten bereits bei der ersten Sichtung der Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg Schäden festgestellt, die mutmaßlich von einem landwirtschaftlichen Gerät stammten. Es war also großes Glück, dass der Landwirt bei seiner Arbeit unbeschadet davon gekommen ist.