Hering: Holzhacken für Lehrer Becker

Horst Pöschl am bis heute fast unveränderten Eingang zur Unterstufe der Heringer Schule. Das Gebäude wird heute von Vereinen und als Wohnhaus genutzt. Foto: Hans-Fritz Lang

Horst Pöschl erinnert sich an seinen ersten Schultag 1947 in Hering. Volkslieder standen auf dem Lehrplan.

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HERING. Für die heutige Generation von Erstklässlern ist die Einschulung in der Nachkriegszeit wohl unvorstellbar. Horst Pöschl aus dem Otzberger Ortsteil Hering erinnert sich noch genau an den ersten Schultag am 14. Oktober 1947, als für die im Kriegsjahr 1941 geborenen Buben und Mädchen der Ernst des Lebens in der 1884 erbauten Heringer Schule begann. Sie beherbergte neben den beiden Lehrerwohnungen zwei Klassenräume, in denen die Unterstufe (erstes bis viertes Schuljahr) und die Oberstufe (fünftes bis achtes Schuljahr) von je einer Lehrkraft unterrichtet wurden. Bis 1970, also bis vor 50 Jahren, hatte jeder Ort in Hessen, so auch in Hering, seine eigene Schule und seine Lehrer.

Horst Pöschl hat nicht vergessen, wie er und seine Mitschüler, begleitet von ihren Müttern, dem kurz vor seiner Pensionierung stehenden Lehrer Otto Becker vorgestellt wurden. „Eine Schultüte hatte ich nicht, aber einen Lederranzen“, berichtet Pöschl. Das war ein alter Mädchenranzen, der von einen Sattler zurechtgeflickt worden war. Neue Schulranzen habe es nur unter der Hand und kaum zu kaufen gegeben.

Horst Pöschl erinnert sich auch daran, dass er erstmals in einer mit vier Klappsitzen und einem Tintenfass ausgestatteten Schulbank saß. Unvergessen bleibt für ihn auch die tägliche Schulspeisung durch die Amerikaner. Es gab Nudelsuppe, Reis mit Rosinen, Rosinenbrötchen mit Kakao, „was wir aus dem selbst mitgebrachten Essgeschirr gegessen haben“, denkt er an die alten Zeiten zurück.

Ebenso unvergessen bleiben für den Heimatvertriebenen die Probleme mit seinem und dem Odenwälder Dialekt, der zu jener Zeit für einen Neubürger kaum verständlich gewesen sei. Sein täglicher Schulweg endete in der damaligen Schulstraße (heute „Zum Bergfried“), wo sich das Schulgebäude und der mit Kastanien bewachsene Schulhof befanden. Die „Schulsportanlage“, lediglich mit einem primitiven Reck versehen, lag gegenüber dem Schuleingang zur Unterstufe, wo heute Garagen stehen.

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Der Sportunterricht, an dem nur die Buben teilnehmen durften – die Mädchen hatten während dieser Zeit Strickunterricht – begann mit Antreten, Reihen bilden, Abzählen, Vortreten und anschließendem Bockspringen. Lehrer Otto Becker, ein altgedienter Offizier, verstand es, den Schülern schon im frühesten Alter militärische Grundkenntnisse beizubringen. Im Übrigen mussten im Sportunterricht zu gegebener Zeit für den Lehrer auch Heidel- und Holunderbeeren gepflückt, Brennholz gehackt und Obst gesammelt werden, wofür es manchmal als Lohn einen Esslöffel Honig gab. Beim Grüßen mussten die Schüler ihre Mütze abnehmen, der katholische Pfarrer wurde mit „Gelobt sei Jesus Christus“ gegrüßt. Sprechen war den Schulkindern nur erlaubt, wenn sie gefragt wurden.

Lehrer Otto Becker, ein Freund der Musik, der den Gesang seiner Schüler mit der Geige begleitete, legte großen Wert auf das Lernen von Volksliedern, die von seinen Schülern heute noch fehlerfrei beherrscht werden. Oft wurde von ihm der Geigenbogen als „Schlagstock“ zweckentfremdet – heute unvorstellbar. Während seiner Abwesenheit wurde der Unterricht von einem Oberstufenschüler fortgesetzt. „Im Übrigen wurde gepaukt, was das Zeug hielt, weswegen auch jeder seiner Schüler einen ordentlichen Beruf erlernte und sich im Leben bewährte“, fügt Horst Pöschl abschließend hinzu.