Der Schulleiter der Lichtenbergschule geht ins Ausland. Im Interview spricht Dirk Karl Pilgram über Veränderung der Schule und über das, was er anders gemacht hat als andere.
OBER-RAMSTADT. Der Schulleiter der Georg-Christoph-Lichtenbergschule (GCLS) Ober-Ramstadt, Dirk Karl Pilgram, geht. Während seiner Amtszeit ist die Schule für ihren innovativen digitalen Unterricht ausgezeichnet worden. Im Interview spricht er über Digitalisierung, neue Lernformen und was er anders gemacht hat als andere Schulen.
Herr Pilgram, nach zehn Jahren als Schulleiter verlassen Sie die GCLS zum neuen Schuljahr. Was ist der Grund?
Ich habe die Chance die letzten sechs beruflichen Jahre als Leiter der Deutschen Schule in Madrid zu verbringen. Ich bin im März 61 Jahre alt geworden und da hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man lässt seine Zeit dort ausklingen, wo man sich wohlfühlt, oder man gibt noch mal richtig Gas und dynamisiert im beruflichen Umfeld. Ich habe entschieden, mich der Herausforderung zu stellen: Von den 140 Schulen im Ausland ist das die größte Deutsche Abitur-Auslandsschule.
Stichwort Dynamisieren: War das nicht auch das, was Sie in der GCLS gemacht haben?
Bevor ich dort als Schulleiter angefangen habe, hatte ich die GCLS als Dezernent in der Aufsicht. Damals haben die Zahlen nicht gestimmt, die Schule war nicht gut angesehen. Es stand die Frage im Raum, ob wir die Oberstufe dichtmachen müssen, weil es zu wenige Schüler gab. Es ist tatsächlich so, dass wir den Ruf der Schule komplett gedreht und es geschafft haben, eine Alternative zu den Gymnasien anzubieten. Mittlerweile haben wir viel mehr Anmeldungen, als wir in der Schule aufnehmen können.
Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?
Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel: Schulisches Lernen und Lehren wurde immer auf Gruppen bezogen verstanden. Doch das ist nicht mehr zeitgemäß. Schule bedeutet den Einstieg in einen lebenslangen Lernprozess. Und dafür muss ich mich loslösen von einem Unterricht, in dem ich in die Mitte einer Gruppe hinein unterrichte und rechts und links die leistungsstärkeren und leistungsschwächeren Schüler rausfallen. Es muss einen individuellen Lernprozess geben, in dem aber auch noch das Lernen in der Gruppe eine Rolle spielt. Vor allem aber braucht es Lehrerinnen und Lehrer, die Beziehungen aufbauen und pflegen können. Und die haben wir an der GCLS. Da scheint mir ein wesentlicher Teil des Erfolgsrezeptes zu sein.
Wie sieht der individuelle oder zeitgemäße Unterricht an Ihrer Schule denn aus?
Ein Beispiel für individuelleren und zeitgemäßen Unterricht an unserer Schule ist die „PerLe“ – die persönliche Lernzeit, die wir vor fünf Jahren eingeführt haben. Das ist der Einstieg in ein umfangreiches, selbstständiges, eigenverantwortliches Lernen. Wir müssen Schülerinnen und Schüler befähigen, Verantwortung für ihren Lernprozess zu übernehmen. Das erfordert, Freiräume zu schaffen, zu ermutigen und zu begleiten. Kein „Takt-Lernen“ mehr. Wer sagt denn, dass alle Schülerinnen und Schüler einer Lerngruppe zur genau gleichen Zeit, genau dasselbe zu lernen haben? Sie sollen die Chance erhalten, sich innerhalb eines definierten Zeitraums das notwendige Wissen anzueignen und die erwarteten Kompetenzen zu entwickeln. Wir sind überzeugt, dass mit der Verantwortung auch die Freude daran steigt sein Potenzial zu entdecken und auszubauen. Das motiviert für das lebenslange Lernen. Der Lehrer ist dabei der Lernbegleiter, der Coach.
Vergangene Woche wurde vom hessischen Kultusministerium ein neues Schulfach „Digitale Welt“ vorgestellt, ein Pilotprojekt. Was halten Sie davon?
Wir wollten bei diesem Pilotprojekt als Schule nicht mitmachen. Der Vorschlag ist weder ein Ergebnis der aktuellen Unterrichts- noch aus der Bildungsforschung. Meines Erachtens ist es allein der Politik geschuldet.
Während Ihrer Amtszeit ist die GCLS für ihren guten digitalen Unterricht gelobt worden. Was haben Sie anders gemacht als andere Schulen?
Im März 2020, als wir alle vom ersten Lockdown erwischt wurden, hatten wir an der Schule gerade mal eine Intranet-Plattform, mit der wir im Wesentlichen E-Mails verschicken konnten. Was wir vielleicht anders gemacht haben, ist der Umstand, dass wir nicht abgewartet haben, was passiert, sondern wir wollten sehr schnell wieder in die „Lern-Beziehung“ kommen, die sich nicht darin erschöpft, dass man Schülerinnen und Schüler Arbeitsblätter zuwirft. Wir haben mit Unterstützung des Landkreises viel Zeit und Geld investiert, um Kollegen fortzubilden und fit zu machen für den digitalen Unterricht. So konnten wir ab November Unterricht nach Stundenplan durchführen und waren damit immer und zu jedem Zeitpunkt im Kontakt zu unseren Schülerinnen und Schülern. Das war eine sehr gelungene Herkulesarbeit unseres Kollegiums!
War die Krise in punkto Digitalisierung auch eine Chance?
Ja. Wenn man es bisschen flapsig sagen will, gehören Schulen – wenn sie denn tätig waren – zu den Corona-Gewinnern. Seit 2013 haben wir an der Schule gefordert, dass Digitalisierung eine Rolle spielen muss, es hat sich aber nichts bewegt. Da war Corona und der erklärte Wille des Schulträgers, der Kreis Darmstadt-Dieburg ein enormer Beschleuniger.
Ein Blick in die Zukunft: Wie digital bleibt das Lernen?
Digitales Lernen ist weit mehr als „Nicht-präsent“ in der Schule sein. Teil des Medienkonzepts ist es, die Schüler darauf vorzubereiten, mit den digitalen Medien umzugehen und sie vor allem für das individualisierte, eigenverantwortliche Lernen zu nutzen.
Braucht man noch die sündhaft teuren Schulgebäude?
Für unseren Bildungs- und Erziehungsauftrag werden wir immer auch die Gemeinschaft haben müssen. Von daher brauchen wir auch die teuren Schulgebäude.
Wird Ihr Nachfolger an der GCLS auf Ihrem innovativen Weg weitermachen?
Das Bewerbungsverfahren läuft. Ich bin zuversichtlich, dass Ende des Jahres auch eine Entscheidung vorliegt. Unsere derzeitige Stellvertreterin Sabine Gatzweiler wird die Schule jetzt erst mal weiterführen. Ich glaube, dass das Kollegium und der Rest der Schulleitung an einem Strang ziehen und wir uns so weit entwickelt haben, dass es nicht an einer einzigen Person hängt, ob die Schule in unserem guten Geist weitergeführt wird.
Das Interview führte Christina Kolb.